Berlin. Als Martin Hermannsson im August aus seiner kurzen Sommerpause zurückkam in die deutsche Hauptstadt, hatte er ein klares Bild seiner Zukunft vor Augen. Trainer Aito Reneses und Sportdirektor Himar Ojeda hatten ihn darauf vorbereitet, dass sie ihn in seiner zweiten Saison bei Alba Berlin mehr in der Rolle des Spielgestalters als in der des Scharfschützen sahen. Basketballer nennen das so: Aus dem Shooting Guard mit gelegentlichen Regieaufgaben sollte ein echter Point Guard werden. Der Isländer freute sich darauf, an der Seite von Peyton Siva, des Zugangs Makai Mason und bald auch wieder Stefan Penos in diese anspruchsvolle Position hineinzuwachsen. Schöne Aussichten waren das vor dem bisher aufregendsten Jahr seiner Karriere. Seiner ersten in der besten Liga Europas.
Drei Spielmacher fallen gleichzeitig aus
Inzwischen hat den gerade 25-Jährigen die Realität eingeholt: Die Verantwortung des Spielaufbaus lastet jetzt zum Großteil auf seinen Schultern. Vor dem Euroleague-Auftakt an diesem Freitag (20 Uhr, Magentasport) in der Mercedes-Benz Arena gegen Zenit St. Petersburg behindert Siva eine schmerzende Wade, Mason hat Probleme am Fuß, und Peno – der braucht nach einem weiteren Eingriff am Knie vermutlich noch bis Ende des Jahres, um Alba wieder helfen zu können. „Ich hatte nicht erwartet“, sagt Hermannsson, „dass nur Jonas und ich übrig bleiben.“ Jonas ist Jonas Mattisseck (19), auch er eigentlich mehr ein Shooting Guard.
Unter diesen Umständen haben sich beide und hat sich auch Alba bisher verblüffend stabil präsentiert. Hermannsson führt das Team souverän an, hat sowohl in der Pokalpartie gegen Würzburg (92:81) mit zehn direkten Korbvorlagen als auch am Mittwoch beim Bundesliga-Auftakt gegen Vechta (101:78) mit elf Assists gezeigt, dass er es versteht, seine Mitspieler trefflich einzusetzen. Kam Mattisseck ins Spiel, vertrat er den Isländer gut. „Jonas ist erst 19, spielt aber schon wie ein Veteran. Er fürchtet sich vor gar nichts“, lobt Hermannsson den jungen Mann. Doch das war gegen Würzburg und Vechta. Jetzt wartet St. Petersburg mit seinen international ausgebufften Spielmachern Andrew Albicy und Alex Renfroe, um nur die in Berlin bekanntesten zu nennen. „Sie haben viele Point Guards“, sagt Hermannsson und lächelt. Er ahnt: Da kommt etwas auf ihn zu.
Lob für Hermannsson von Trainer und Manager
Optimistisch stimmt, dass er genau wie Alba ein gutes Maß an Selbstbewusstsein mitnehmen kann in dieses Spiel. Die ersten beiden Partien liefen besser als erwartet. „Ich glaube, ich habe bisher einen soliden Job gemacht“, findet Hermannsson. Geschäftsführer Marco Baldi und Trainer Reneses loben fast wortgleich: „Martin macht das sehr gut.“ Sportdirektor Ojeda sagt: „Er führt das Team ganz gut. Er spielt gute Pässe, aber in diesem Punkt muss er sein Spektrum noch erweitern: Manchmal ist es besser, einen Umweg über einen anderen Spieler zu gehen, der dann den entscheidenden Pass gibt.“
Hermannsson ist das bewusst: Er lernt gerade sehr viel, das muss schnell gehen und er weiter in die neue Rolle hineinwachsen. „Ich will zeigen, dass ich das kann. Ich liebe es nämlich, Point Guard zu spielen.“ Er müsse sich dabei manchmal bremsen, „lernen, das Spiel etwas besser zu kontrollieren“, Ruhe reinzubringen, wenn es angebracht ist. Schwierig für einen wie ihn, der eigentlich gewohnt war, sofort loszusausen, wenn er den Ball hatte und möglichst schnell den Abschluss zu suchen.
Nervosität ist ihm selten anzumerken
Es hilft sehr, dass diese Saison schon seine zweite bei Alba ist. „Ich kenne die Spieler, die Trainer, die Systeme, die Fans – alles. Die Coaches unterstützen mich sehr. Deshalb bin ich auch nicht zu nervös.“ Sollte er es jemals sein – man merkt es dem coolen Nordländer ohnehin nicht so leicht an. Er scheint wie geschaffen für den Spielaufbau, wirkt auf dem Parkett abgeklärt, selten hektisch, furchtlos. Bisher hat er das vor allem als starker Distanzschütze und bei seinen Zügen zum Korb bewiesen. Jetzt ist seine Aufgabe komplexer.
Zugleich könnte Alba genau diese Treffsicherheit, übrigens ähnlich wie bei Mattisseck, fehlen, wenn es in die entscheidenden Minuten geht. Beide sind dann mit anderen Dingen beschäftigt, als einen guten Wurf für sich zu kreieren. Derzeit nicht zu ändern, zum Glück gibt es sehr viele gute Schützen in der Berliner Mannschaft. „Für den Moment ist es schwierig für Martin und Jonas“, sagt Manager Baldi, „aber insgesamt wird es den Jungs irrsinnig helfen, wenn sie sehen, dass sie die Rolle des Point Guards auch hinkriegen. Und wir profitieren letztlich genauso davon, denn es gibt uns mehr Variabilität.“
Hermannsson sehnt Sivas Rückkehr herbei
Erst einmal muss sich erweisen, ob das, was im nationalen Wettkampf bisher gut funktionierte, auch internationalen Ansprüchen genügt. Wie erwähnt, ist das Aufbauspiel Zenits herausragend besetzt. „Das wird in der Euroleague in jedem Spiel so sein“, sagt Hermannsson, „wir wussten das. Wir wollen das.“ Natürlich würde er sich wünschen, dass Siva bald ins Team zurückkehrt. Andererseits muss der Amerikaner sich Zeit lassen, seine Verletzung richtig auszukurieren, denn die Saison wird sehr lang. „So lange“, sagt Hermannsson, „gebe ich mein Bestes, das Team so gut ich kann anzuführen.“ Gegen St. Petersburg wird sich zeigen, wie sehr Peyton Siva noch fehlt. Und wie viel Martin Hermannsson seit der Sommerpause dazugelernt hat.