Berlin. Rokas Giedraitis fühlt sich bei Alba, als wäre er schon immer dabei. Sein Vorgänger Marius Grigonis gab ihm den richtigen Tipp.
Es lag für Rokas Giedraitis nahe, erst einmal mit Marius Grigonis zu sprechen, bevor er seinen Vertrag bei Alba Berlin unterschrieb. Beide kennen sich gut aus der litauischen Basketball-Nationalmannschaft und telefonieren sowieso hin und wieder miteinander. Vor allem aber trug der 24 Jahre alte Grigonis vergangene Saison noch das Alba-Trikot. Weil er sich zur Rückkehr in sein Heimatland entschied, umwarben die Berliner daraufhin den zwei Jahre älteren Giedraitis. Der hatte bis dahin nur für litauische Klubs gespielt und war sich seiner Sache noch nicht sicher. Bis Marius Grigonis ihm sagte: „Nimm das Angebot an. Du wirst dort glücklich sein.“
Offenbar war das ein guter Tipp. Der 26-jährige Giedraitis zeigt seitdem in jedem Spiel und in jedem Gespräch, dass es genauso gekommen ist. Er sprüht vor Freude über sein neues Team. Alles hier sei „very nice“, sagt er, mit offenen Armen sei er empfangen worden, als habe er schon immer zu dieser Mannschaft gehört. Ein Fremdeln mit dem neuen Verein, dem neuen Land, das alles gab es nie. Und Giedraitis zahlt mit Leistung zurück. Vor allem seine Rückwärts-Dunkings sind bei Fans wie Mitspielern beliebt: einen hohen Pass in die Zone des Gegners im Flug fangen und den Ball mit dem Rücken zum Korb hineinstopfen, das kriegt er locker hin. Bringt zwar auch nur zwei Punkte, euphorisiert aber die eigenen Fans wie Kollegen und schockt den Kontrahenten.
Ein Spieler vom Typ der eierlegenden Wollmilchsau
An diesem Mittwoch (20 Uhr, Telekomsport, Mercedes-Benz Arena) im Eurocup-Spiel gegen Cedevita Zagreb sind solche Kunststücke weniger gefragt, sondern Knochenarbeit. Die Kroaten fügten Alba beim 75:73 im Hinspiel mit ihrer zupackenden Art die bisher einzige internationale Niederlage bei. Auch dieses Metier beherrscht Giedraitis allerdings. Er ist so etwas wie eine eierlegende Wollmilchsau, zählt mit seinen 14 Steals nach sechs Spieltagen zu den besten Balldieben im Eurocup, hat für Alba mit 91 die meisten Punkte erzielt, steuert im Durchschnitt fünf Rebounds und zwei Korbvorlagen bei. Was ihm Rang drei in der Statistik der effektivsten Spieler einbringt.
„Rokas macht von allem etwas, deshalb ist er so wertvoll für uns“, lobt der momentan verletzte Spielmacher Peyton Siva den Neuen, „dazu lacht er eigentlich die ganze Zeit. Als Spieler nutzt er seine langen Arme und seine großartige Athletik. Er ist ein guter Schütze und will immer dunken. Wenn er den Ball nicht hat, ist er ständig in Bewegung, um anspielbar zu sein.“ Trainer Aito Reneses zählt die gleichen Stärken auf. „Er ist ein guter Spieler“, sagt der Spanier, der allerdings noch Verbesserungsbedarf in der Defensive erkennt. Und wie fällt der Vergleich zu Vorgänger Grigonis aus? „Marius ist sehr talentiert, ein kreativer Spieler“, sagt der Spanier, „Rokas weiß, wann er werfen und wann er zum Korb ziehen muss. Er ist ganz anders und hat eben andere Stärken.“
Es scheint, als hätten sich da zwei gesucht und gefunden. Der Verein wünschte sich einen weiteren vielseitigen Hauptdarsteller wie den Amerikaner Luke Sikma, der ebenfalls in jeder Statistik zu finden ist. Und Giedraitis spielt im Vergleich zu seiner letzten Station Rytas Vilnius unter Reneses geradezu befreit auf. Ihm kommt das schnelle Spiel, auch das schnelle Abschließen der Angriffe, sehr entgegen.
Ein Sieg gegen Zagreb reicht zum Einzug in die Top 16
Wobei er mit seinen 26 Jahren erfahren genug ist, bei aller Freude und allen Dunkings mit seinen Gefühlen auf dem Boden zu bleiben. „Es stimmt“, sagt er zwar, „ich hatte in meiner ganzen Karriere noch nie einen so guten Saisonstart wie hier.“ Mit seiner Ehefrau Ausra, die er 2017 geheiratet hat, und Hündchen Doggo Sintas hat er sich außerdem schneller als erwartet eingelebt; Umstellungsprobleme oder Heimweh gab es nicht. Alles läuft gut, „aber wir sind auch gerade sehr erfolgreich. Gewinnen in Krasnodar, in Limoges, in Bursa. Warten wir mal ab, wenn es mal nicht so gut läuft.“
Er ist selbst überrascht, dass Alba sich allen Rückschlägen zum Trotz bisher kaum einen Ausrutscher leistete. Bei einem Sieg gegen Cedevita an diesem Mittwoch wäre die nächste Runde, das Top 16, schon erreicht. In dreizehn Partien gab es neben der Niederlage in Zagreb nur die 69:80-Pleite in Vechta am vergangenen Sonnabend. Da sah es ein wenig danach aus, als ginge dem Team durch die Verletzungen von Siva (Rippenbruch), Joshiko Saibou (Fußentzündung) und Martin Hermannsson (Bänderriss) die Puste aus. „Das glaube ich nun auch wieder nicht“, sagt Giedraitis, „wir sind ohne die für uns typische Energie angetreten und haben schlecht getroffen. Wir müssen uns einfach auf das konzentrieren, was wir können.“ Das bedeutet: Tempo, Tempo, Tempo.
Was Rokas Giedraitis nur in seine Stärken spielt. Er wolle in einem Gewinnerteam stehen, sagt er. Wenn es so etwas wie eine Philosophie in seinem Sport für ihn gäbe, dann diese: „Nur mitzuspielen, ist nicht mein Ziel. Ich will immer alles dafür tun, um zu gewinnen.“ Nach erst drei Monaten in Berlin hat er auch schon ein Zukunftsziel parat: „Ich will mit Alba in der Euroleague spielen.“ Das bedeutet, den Eurocup gewinnen oder das Finale um die deutsche Meisterschaft erreichen. Das Glück ist ein launischer Gast. Deshalb möchte es Rokas Giedraitis am liebsten selbst in die Hand nehmen.