Vier Morgenpost-Schülerreporter konnten ein Gespräch mit dem Schriftsteller führen – direkt in seinem Büro. Noch immer geht Klaus Kordon jeden Tag gegen 8.30 Uhr dorthin, um zu schreiben:
Svenja, Jasmin, Gloria, Lea & Jorin: Wann haben Sie Ihr erstes Buch veröffentlicht?
Klaus Kordon: Das war im Herbst 1977, die Geschichte eines indonesischen Betteljungen namens Tadaki. Den Jungen hatte ich, damals als Exportkaufmann, in Indonesiens Hauptstadt Jakarta kennengelernt. Er lief mit einem Affen auf dem Kopf spazieren und hat gebettelt. Der Junge sagte immer: „No mama, no papa, no television“. Über diesen Spruch mussten die Leute lachen und gaben ihm gerne etwas, denn Tadaki war so arm, dass er nicht einmal eine Steckdose hatte, geschweige denn einen Fernseher.
Ganz ehrlich: Welches Ihrer Bücher ist Ihr Lieblingsbuch?
Das ist meine Lieblingsfrage… Meine Bücher sind wie meine Kinder. Und wenn Ihr mal Kinder habt, werdet Ihr nicht sagen: Der Paul, der schielt ein bisschen, aber das Clärchen ist mir sehr lieb. Ihr werdet sagen: Meine Kinder sind mir alle gleich lieb. Wenn ich mich für ein Buch entscheiden müsste, hätte ich Angst, die anderen Bücher wären beleidigt.
Wie sind Sie darauf gekommen, Romane zu schreiben?
In der Schule war ich nicht das große Ass – Mathe, Physik und Chemie konnte man vergessen, aber ich war immer der Aufsatzschreiber in der Klasse. Ich habe auch gerne gelesen als Kind, war eine richtige Leseratte. Allerdings habe ich früher nicht geglaubt, dass ich selbst Bücher schreiben kann – aus Respekt vor den großen Schriftstellern. Aber wenn man den Wunsch hat, seinen Senf dazu zu geben zu dem, was in der Welt so passiert, dann macht man es eines Tages. Man fängt klein an, schreibt mal eine Gedicht, eine Kurzgeschichte. Und dann wird man irgendwann immer besser.
Wie wird man denn Schriftsteller?
Im Englischen gibt es den Ausdruck „Learning by doing“. Wenn einer singen will, kann er eine Schule besuchen und Gesangsunterricht nehmen, aber für einen Schriftsteller gibt es so etwas eigentlich nicht. Das Schreiben kann man – Talent vorausgesetzt – eigentlich nur lernen, indem man anfängt, es zu tun. Wichtig ist, dass man eine gute Beobachtungsgabe hat und sich in Menschen hineinversetzen kann. Und natürlich muss man mit Sprache umgehen können und wollen. Man muss auch Spaß daran haben, an den Texten zu arbeiten und zu feilen.
Wie sieht ein normaler Arbeitstag bei Ihnen aus? Was gehört noch alles dazu – außer Schreiben?
Auch Lesungen halten gehört zur Arbeit eines Autors – in Buchhandlungen, in Schulen. Aber da muss man aufpassen, dass es nicht zu viel wird, sonst kommt man nicht mehr zum Schreiben, denn das ist immer noch die Hauptaufgabe eines Schriftstellers. Bei mir ist es so, dass ich morgens gegen 8.30 Uhr die Tür zu meinem Büro aufmache und mich zum Schreiben hinsetze. Bis mittags arbeite ich dann hier und schreibe an einer Geschichte – mit lauter Zetteln auf meinem Tisch. Nach dem Essen gehe ich noch einmal ein bis zwei Stunden in mein Arbeitszimmer.
Auf Ihrem Schreibtisch sehen wir keinen Computer: Schreiben Sie mit der Hand?
Unser Computer steht drüben in der Wohnung, aber daran sitzt meine Frau, nicht ich. Wenn ich schreibe, dann stört mich die Technik, dann will ich keinen Bildschirm vor mir haben, nur die Geschichte. Meine Frau schreibt alles ab und druckt den Text am Computer aus. Den Ausdruck überarbeite ich, mache alles kaputt. Das geht so lange, bis ich nichts mehr kaputt machen kann.
Sie schreiben überwiegend Romane und Erzählungen für Kinder und Jugendliche. Wie ist es dazu gekommen?
Das war ein Riesenzufall. Weil der Junge, dem ich damals in Indonesien begegnet bin, ein 13-Jähriger war, habe ich seine Geschichte für gleichaltrige Jugendliche in Europa aufgeschrieben. Dann hat mich der Verlag gefragt, ob ich über den Tod schreiben möchte - das war damals noch ein Tabuthema im Kinder- und Jugendbuch. Und weil ich selbst als kleiner Junge miterlebt habe wie mein Bruder, den ich bewundert habe und der mein Held war, bei einem Fußballspiel verunglückt und daran gestorben ist, habe ich darüber geschrieben, wie wir beide nach dem Krieg in Berlin aufgewachsen sind und ich damit fertig werden musste, dass mein Bruder nicht mehr da ist. „Brüder wie Freunde“ heißt das Buch und das war automatisch wieder ein Kinder- und Jugendbuch. Erst später habe ich mich gefragt, wieso. Ich glaube, es hat auch damit zu tun, dass ich selbst eine sehr schwierige Kindheit hatte. Meine Mutter starb, als ich 13 war, ich kam ins Kinderheim, später ins Jugendheim. Menschen, die eine Kindheit hatten, die nicht glatt und heil war, die nehmen Kinder wichtiger. Aber man braucht auch das Talent, sich so auszudrücken, dass Kinder es verstehen.
Und was verdient man als Schriftsteller?
Das ist gar nicht so einfach auszurechnen, denn es hat mit dem Verkauf der Bücher zu tun. Als Schriftsteller bekommt man ungefähr zehn Prozent vom Verkaufspreis eines Buches. Wenn ein Schriftsteller 1000 Bücher verkauft und das Buch 20 Euro kostet, dann hat er am Ende vielleicht 2000 Euro verdient – eventuell für ein Jahr Arbeit. Wenn er davon leben will, muss er schon mindestens 20.000 verkaufen. Das schaffen nur wenige und deshalb können die meisten Autoren nicht von ihren Büchern leben. Ich selbst gehöre zu denen, die es können – seit 30 Jahren. Es hat aber auch mit Glück zu tun, dass meine Art zu schreiben bei den Leuten ankommt.
Warum schreiben Sie fast immer über Probleme von Menschen und über geschichtliche Themen?
Ich habe Bücher zu ganz verschiedenen Themen geschrieben und wechsele immer mal gerne ab. Das Wort ,Problem’ mag ich nicht, schon gar nicht das Wort ,Problembuch’. Das verwendet man im Kinder- und Jugendbuch-Bereich gerne. Dabei haben die großen Schriftsteller immer auch über Probleme geschrieben, Lew Tolstoj und Thomas Mann beispielsweise. Da würde man aber nie von Problembüchern sprechen. Wenn man über Themen wie Krieg oder Armut in der dritten Welt schreibt, dann kann man bestimmte Dinge nicht verschweigen. Wirkliche Literatur spart Probleme nicht aus.
Wie werden Sie Ihren Geburtstag feiern?
Ich fahre mit meiner Frau nach Kopenhagen, denn wir unternehmen gerne Städtereisen. Danach wartet hier viel Trubel auf mich...
Die Fragen stellten: Svenja Kuhlmey, Jasmin Sayed, Gloria Zwirner & Jorin Zenker, Kl. 6ai, Schule am Grüngürtel, Spandau