Ein isländischer Farmer hat im Schatten des Eyjafjallajökull soeben ein privates Besucherzentrum eröffnet. Ein Ortstermin am Rande des Vulkans.
Eyjafjallajökull. Wer den Namen korrekt ausspricht, wird in Island sofort eingebürgert. Vor allem das doppelte L in der Mitte, das wie TL ausgesprochen wird, ist ein Zungenbrecher. Eja-flatla-jökull. Besonders Sprachbegabte schaffen es auf Anhieb, aber die meisten packen es nie. Also sagen wir einfach: Vulkan E 15. So nennen ihn die isländischen Vulkanologen.
E 15 steht im Süden von Island, direkt oberhalb der Nationalstraße 1, etwa zwei Autostunden östlich von Reykjavík, ist 1666 Meter hoch, der Krater hat einen Durchmesser von drei bis vier Kilometern. Da die Isländer über alles Buch führen, was seit der "Landnahme" Ende des 9. Jahrhunderts auf ihrer Insel passiert ist, weiß man auch, wann und wie lange der E 15 aktiv war: 920, 1612, dann wieder von 1821 bis 1823 und zuletzt im Frühjahr letzten Jahres. Am 20. März 2010 wachte der E 15 aus einem fast 200 Jahre langen Schlaf auf; in der Nacht vom 13. auf den 14. April gab es dann den Big Bang.
„Wir wussten, dass es passieren würde, wir waren vorgewarnt worden“, sagt Olafur Eggertsson, 58, der mit seiner Familie auf der Farm Thorvaldseyri lebt, den E 15 im Rücken, die schmale Küstenebene vor der Haustür. Sein Großvater, Olafur Palsson, hat die Farm im Jahr 1906 von einem Mann namens Einar Benediktsson gekauft, der sie nur ein Jahr bewirtschaftet hatte, bis ihm klar wurde, dass ein Schriftsteller nicht für das Landleben taugt.
Olafur Palsson vermachte die Farm seinem Sohn Eggert Olafsson, der übergab sie an Olafur Eggertsson, den jetzigen Besitzer, und wenn der mal nicht mehr will oder kann, wird sein Sohn, Pall Eggert Olafsson, Thorvaldseyri erben: 1000 Hektar Acker-, Wiesen- und Weideland, 200 Kühe mit allem, was dazugehört, einschließlich einer vollautomatischen Melkanlage, die quasi von den Kühen selbst bedient wird. Tradition und Hightech liegen in Island nah beieinander.
Der Katastrophenschutz evakuierte die Region
Als der E 15 ausbrach, griff Olafur Eggertsson als Erstes zu seiner Nikon. Die Bilder, die er in den folgenden Stunden schoss, gingen am nächsten Tag um die Welt. Während die Familie ins 40 Kilometer entfernte Regionalzentrum von Hvolsvöllur evakuiert wurde, blieb er auf der Farm, kümmerte sich um die Tiere – und fotografierte. Dann gab er auf, nicht wegen der schlechten Luft und der Schmelzwasserfluten, sondern weil ihn der Katastrophenschutz aus der Gefahrenzone brachte.
Zehn Tage später durfte die Familie zurückkehren. „Die ganze Farm lag unter einer dicken Ascheschicht.“ Die Kühe im Stall waren wohlauf, wenn auch etwas gestresst, es dauerte eine Weile, bis sie wieder die volle Milchleistung brachten. Olafur Eggertsson und seine Familie machten sich ans Aufräumen. Mithilfe von Freiwilligen transportierten sie 400 Tonnen Asche ab. Ende Mai, nach über vier Wochen harter Arbeit, sah Thorvaldseyri wieder wie neu aus. Beinah.
„Kommen Sie mit, ich zeig’ Ihnen was“, sagt Olafur Eggertsson und packt die Gäste in seinen 20 Jahre alten Toyota Landcruiser. Wenn man in Island auf dem Land wohnt, muss man so ein Auto fahren. Die Wüste fängt gleich hinter der Farm an. Kilometerweit nichts als schwarze Asche und Geröll, das der Gletscherfluss bergab gespült hat. Mittendrin ein leeres Haus, das nicht zu Ende gebaut wurde. Doch je höher man kommt, umso grüner wird es. Die Flora kehrt allmählich zurück. „Es ist ein Kampf“, sagt Olafur Eggertsson, „mal gewinnt der Eyjafjallajökull, mal gewinnen wir.“
Gemessen an anderen Naturkatastrophen in der Geschichte Islands war der Ausbruch des E 15 relativ harmlos. Dennoch beschlossen Olafur Eggertsson und seine Frau Gudny Valberg, 57, eine ehemalige Lehrerin, es dem Eyjafjallajökull heimzuzahlen.
Der Parkplatz wurde aus Vulkanasche planiert
„Eigentlich war es die Idee unserer Tochter“, sagt Gudny. Inga Julia Olafsdottir, 26, arbeitet in Reykjavíik in einem Reisebüro. Sie organisiert Rundreisen, Ausflüge zum Geysir und zum Gulfoss und weiß genau, wie viele Touristenbusse jeden Tag die Küstenstraße Nr. 1 befahren.
„Wir sollten eine Ausstellung über den Eyjafjallajökull machen“, sagte sie eines Tages, während die Familie beim Abendessen zusammensaß, „das muss Ende Dezember 2010 gewesen sein“. – „Nein, das war schon im Januar 2011“, erinnert sich Mutter Gudny.
Zum Hof gehört auch ein großer Schuppen. Dort lagerte alles, was Olafur Eggertsson nicht brauchte, aber auch nicht wegwerfen wollte: alte Motoren, Ersatzteile, Werkzeug. Der Schuppen wurde ausgeräumt und instand gesetzt, drum herum ein Parkplatz planiert, aus Vulkanasche. Inga Julia Olafsdottir übernahm die Leitung des Projekts. „Anfangs sollte es nur ein Raum werden, in dem wir die Fotos meines Vaters zeigen wollten.“
Als das Eyjafjallajökull Visitor Centre am 14. Mai 2011, genau ein Jahr nach dem Ausbruch des E 15, eröffnet wurde, war aus der „kleinen Fotoschau“ eine „Multi-Media-Stop-And-Shop“-Station geworden. Es gibt ein Kino mit 55 Plätzen, in dem ein Dokumentarfilm über den Ausbruch des E 15 gezeigt wird, eine „Timeline“ über den Eyjafjallajökull vom 5. Jahrhundert v. Chr. bis heute, eine Fotoausstellung über die Geschichte der Thorvaldseyri-Farm – alles sehr anschaulich und professionell gemacht.
Der Eintritt kostet 800 Kronen, das sind etwa 5 Euro, in den ersten Wochen kamen 3000 Besucher, was Olafur Eggertsson und seine Familie hoffen lässt, dass sich die 180 Millionen Kronen, etwa 110.000 Euro, die das Privatmuseum gekostet hat, in zwei bis drei Jahren amortisieren werden. Neben dem üblichen Touristenbedarf – Tassen, T-Shirts, Ansichtskarten – wird alles vermarktet, was der E 15 hergibt.
Das beliebteste Souvenir ist Vulkanasche im Einmachglas
Der Renner sind kleine Einmachgläser, gefüllt mit frischer Vulkanasche vom E 15, zu 900 Kronen das Stück. Dabei gibt es Vulkanasche auf Island wie Sand am Strand, aber die hier ist etwas Besonderes, obwohl Olafur Eggertsson nur hinter sein Haus gehen muss, um sie einzusammeln. „Wir haben einen Vorrat für viele Jahre“, sagt er und grinst. Natürlich komme nur die original Eyjafjallajökull-Asche in die Gläser, die sei „besonders fein“, die vom Grimsvötn, der am 21. Mai wieder einmal ausgebrochen war, dagegen „viel gröber“. Aber man muss schon ein Isländer sein, um den Unterschied zu bemerken.
Olafurs Frau Gudny will jetzt auch ins Bio-Geschäft einsteigen. Mit Seife aus Rapsöl gebunden mit Vulkanasche und mit Kosmetikprodukten aus Angelica, einer wild wachsenden Pflanze, die überall in Island vorkommt. (Eine kleine Privatbrauerei im Norden produziert sogar Angelica-Bier.)
Auf der Thorvaldseyri-Farm wird seit einigen Jahren auch Getreide angebaut, das lange als islanduntauglich galt, Weizen und Gerste. Der Weizen geht an Bäckereien in Reykjavík, die Gerste an einen Betrieb in Borgarnes an der Westküste, der organische Cornflakes produziert.
Es ist, als wollten Olafur und Gudny dem Vulkan hinter ihrem Haus sagen: „Yes, we can!“ Oder auch: „Du kannst uns mal!“ Das ist die isländische Art, mit Katastrophen umzugehen: Man macht das Beste daraus. Eines der T-Shirts, die im Eyjafjallajökull Visitor Centre verkauft werden, zeigt als Motiv die Ökobilanz des letzten Vulkanausbruchs. Jeden Tag würden allein in der europäischen Luftfahrt 344.000 Tonnen CO2 ausgestoßen. Der Eyjafjallajökull habe sich mit 15.000 Tonnen CO2 pro Tag begnügt. Durch das mehrtägige Flugverbot infolge der Eruption sei der CO2-Ausstoß über Europa radikal reduziert worden.
Und wäre dem Vulkan nicht nach 40 Tagen die Luft ausgegangen, würde die Bilanz noch besser aussehen. Zumindest aus der Sicht der Isländer.
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