Keine breite Auffahrt, kein Kofferträger und kein gebührlicher Empfang. Nur Hecken, Blumenrabatten und ein kleiner Parkplatz mit teuren Autos. Dazu drei Häuser, die sich bescheiden in die lauschige Umgebung ducken, und ein kleines Schild “Zur Rezeption“ - klein und übersehbar. Doch wer einmal im “Seehotel am Neuklostersee“ gestrandet ist, weiß den Platz zu schätzen.

Die Frage aller Fragen stellte einst ein schneidiger Jaguar-Fahrer aus der Schweiz: "Wo ist denn hier das Hotel?", fragte dieser den weißhaarigen, weißbärtigen Gärtner und schien enttäuscht, als dieser nur mit den Schultern zuckte.

Da war der betuchte, eidgenössische Gast so lange durch Deutschlands blühende Landschaften gefahren bis kurz vor Wismar, war dann korrekt bei Neukloster Richtung Nakenstorf abgebogen und links dem kleinen Schild zum "Seehotel am Neuklostersee" korrekt gefolgt - und dann das. Kein Tor und keine breite Auffahrt, kein Kofferträger und kein gebührlicher Empfang. Nur Hecken, Blumenrabatten und ein kleiner Parkplatz mit teuren Autos. Dazu drei Häuser, die sich bescheiden in die lauschige Umgebung ducken, und ein kleines Schild "Zur Rezeption" - so klein und übersehbar, als schäme es sich, hier, wo sich Natur und Zivilisation innig umarmen, Hinweise zur rechten Orientierung zu geben.

Augenfreude und Gaumengenuss

Ja, wo ist denn nun das Hotel? Wer sich jemals in das wahrlich zauberhafte "Seehotel am Neuklostersee" verirrt hat, der darf solch eine Frage nicht stellen. Denn es hieße, die Magie dieses Ortes preiszugeben, und all jene aus einem Paradies zu vertreiben, das ihnen Fluchtort, Augenfreude, Gaumengenuss, Lebensart und auch Erinnerung an ein Stück Kindheit wiedergibt, in dem jeder Tag ein staunendes Entdecken und jede rationale Erklärung ein Stück Verrat bedeutet.

Denn was ist diese bäuerliche Anlage im Sternberger Seenland - dem jüngsten Naturpark in Mecklenburg-Vorpommern -, die das Berliner Ehepaar Nalbach Anfang der 90er-Jahre gekauft und saniert hat? Dieses wie aus der Zeit gefallene Anwesen mit "Kunstscheune" in der reetgedeckten Fachwerkscheune hier und mit Hotelrestauraut im Klinkerbauernhaus dort. Dieses Ensemble, das vor fünf Jahren zum klassischen Dreiseithof erweitert wurde mit dem Bau einer "Badescheune" aus Feldstein, dazu jüngst ergänzt durch eine stimmungsvoll gestaltete "Gänsebar" und ein originelles "Kinderhotel", ist dieses nicht alles eine Neuinterpretation von Pippi Langstrumpfs Villa Kunterbunt?

Ein echter Steinway wartet in der "Kunstscheune" auf neugierige Zuhörer, in der "Gänsebar", einem alten Lagerraum, sitzt man auf Baumstümpfen, die am Bartresen auf einem Steinboden stehen, schaut in eine Vitrine mit ausgestopftem Fuchs und Gans, oder gen Himmel zur Decke, wo Gänsefedern verraten, dass vor wenigen Jahren die Vogelgrippe zugeschlagen hat. Das "Kinderhotel" war einst ein alter Trafoturm und ist heute ein einziger Naturerlebnisort mit Hörtrichter, Camera Obscura und mit Schafwolle gefüllten, kunterbunten Kissen innen und draußen mit Nistkästen für Schmetterlinge, Maikäfer, Wildbienen und Fledermäuse.

Ein großes Abenteuer

In den Kinderhotel-Boden sind Edelsteine eingelassen, während draußen eine gigantische Schaukel mit neun Meter langen Stahlseilen den kleinen Gast ein Stück zum Himmel befördert - ist das hier alles nicht ein großes Abenteuer, wo nichts zusammenpasst, außer, dass es die Natur ist, die sich hier vorarbeitet in die Zivilisation und dieser wiederum kleine Räume zum Zeitvertreib schenkt?

Hängematten verbinden Birken, Kastanien, Weiden am Ufer des Sees, auf dem kleine Boote friedlich schaukeln, ein Badesteg zum Faulenzen einlädt wie die Liegestühle für Klein und Groß auf der Wiese davor, wo zwei Schafe grasen.

Man wähnt sich - ganz nach Alter und Anmutung - entweder in einem Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn oder in einer klassischen Sommerfrische Tschechowscher Prägung, in der der Großstädter alles findet, was er zuhause nicht hat: saubere Luft und ewige Ruhe, die Freude an dicken Bäumstämmen und am Spiel der Sonnenstrahlen im leicht wiegenden See und der nahezu kindlichen Freude, wenn der Kellner auf der Sonnenterrasse ein Stück hausgebackenen Pflaumenkuchen serviert. Wo ist das Hotel?

Efeu rankt sich um Stahlstreben

Was für eine Frage! Alles ist hier Hotel: Die drei Ferienhäuser am See, dazu die 22 individuell gestalteten Zimmer bis zur Maisonette-Suite in der Badescheune mit Treppe nach oben zur Sitzecke mit Tisch aus Glas und Holz. Die Natur, sie hinterlässt hier eben überall ihre Spuren, von der Fassade der Badescheune (wo Efeu sich um Stahlstreben rankt) bis zur Küche von Thomas Schumann, wo fangfrischer Zander aus dem Neuklostersee oder Kräuter aus dem hauseigenen Garten auf der Speisekarte landen.

Will man hier weg? Man kann, muss aber nicht. Wer will, kann seine Kleinen wie die Kinder von Bullerbü in die bereitstehenden Bollerwagen packen und mit ihnen ins nahe Neukloster zuckeln, um im dortigen Klosterpark auf einem Rundgang das mit 800 Jahren älteste Nonnenkloster Mecklenburgs zu entdecken - hier stehen neben Kirche, Klosterhof, Propsteigebäude und Glockenturm auch jüngere Einrichtungen wie ein Museum, eine Jugendscheune mit Hochseilgarten sowie eine neu angelegte Streuobstwiese - man versteht, warum der Klosterpark Teil der Bundesgartenschau ist, die noch bis 11. Oktober in Schwerin läuft.

Vielleicht ein Fisch vom Kutter?

Danach womöglich ein Rundgang um den Neuklostersee über die Teppnitzbachbrücke durch den Neumühler Forst zurück in die kleine Ortschaft Nakenstorf, die den Charme einer Laubenpiepersiedlung hat? Vielleicht doch ein Trip ins 18 Kilometer entfernte Wismar, um ein Fischbrötchen vom Kutter am Hafen zu essen? Naja, nicht wirklich. Denn wer im "Seehotel am Neuklostersee" eincheckt, will so schnell nicht wieder heraus. Und wenn Sie das erste Mal da sind und das Hotel suchen - lassen Sie sich nicht ins Bockshorn jagen. Der weißhaarige Mann, der da arbeitet und sich zuweilen als Gärtner ausgibt, ist niemand Geringeres als der Chef selbst: Gernot Nalbach, hochangesehener Architekt aus Berlin und immer für eine Überraschung gut - wie sein Hotel.