Giftquallen

Meeresbiologen warnen: Quallen breiten sich aus wie noch nie

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Sonja Fröhlich und Ralph Schulze
Eine Gelbe Feuerqualle.

Eine Gelbe Feuerqualle.

Foto: dpa Picture-Alliance / WILDLIFE/F.Graner / picture alliance / WILDLIFE

An den spanischen Stränden herrscht Quallenalarm. Auch im Rest der Welt breiten sich Quallen aus wie noch nie. Es fehlen die Feinde.

Mallorca/Berlin.  An den Stränden der Urlaubshochburgen Benidorm und Torrevieja wehen bereits die typischen roten Flaggen. Zahlreiche Playas auf dem Festland an der Costa Blanca im Südosten Spaniens sind gesperrt.

Der Grund: Quallenalarm. In den vergangenen Tagen waren dort mehrere Portugiesische Galeeren gesichtet worden, eine Medusenart, die als hochgiftig gilt. Auch vor den Mittelmeerinseln Ibiza und Formentera trieben Exemplare.

Jetzt ist die Giftqualle auch vor Mallorca aufgetaucht. Die Stadtverwaltung von Palma, Mallorcas Inselhauptstadt, hob das zunächst ausgesprochene Badeverbot zwar wieder auf, sie wolle die Lage weiter beobachten. Doch der Rettungsdienst der Balearischen Inseln rief Badegäste in der Meeresbucht von Palma via Twitter zu „großer Vorsicht“ auf.

In Extremfällen kann das Quallengift tödlich wirken

Denn die Begegnung mit der faszinierend schönen Portugiesischen Galeere – eine Art aus der Gattung der Seeblasen – ist mindestens schmerzhaft. Eine Berührung, auch von toten Tieren oder Tentakelresten, kann zu bösen Hautverbrennungen führen. Bei geschwächten Personen oder Allergikern kann sie in Extremfällen sogar tödlich enden, auch wenn Todesfälle sehr selten sind.

Die bis zu 30 Zentimeter messenden Quallenkörper schwimmen an der Wasseroberfläche und sind daher relativ gut sichtbar. Ihre weißen oder violetten Tentakel, die bis zu 30 Meter erreichen können, treiben unter Wasser. An den Tentakeln befinden sich pro Zentimeter bis zu 1000 giftige Nesselzellen. Bei Hautkontakt wirkt das Giftgemisch aus Proteinen direkt in den Nervenzellen. Wenn das Gift auch die Lymphknoten erreicht, wird es für die Betroffenen noch schmerzhafter.

Sigrid Lüber, Gründerin und Präsidentin der Meeresschutzorganisation Oceancare, hat vor einigen Jahren bei einem Tauchgang vor Sardinien offenbar einen Tentakel der Qualle gestreift. „Danach hatte ich monatelang Verbrennungen an meiner Hand. Es sind immer noch Narben sichtbar“, sagt sie.

Glibbertiere treiben mit der Strömung

Eigentlich ist die Giftqualle im Atlantik heimisch. Seit einigen Jahren nimmt die von den Inselbewohnern auch „Botella azul“ (blaue Flasche) genannte Galeere immer wieder Kurs aufs Mittelmeer. Das macht sie nicht aus eigenem Antrieb.

Die hirnlosen Glibbertiere lassen sich vielmehr mit der Strömung treiben, sagt Sigrid Lüber. Bei der Portugiesischen Galeere spiele auch der Wind eine Rolle, denn ihre aus dem Wasser ragende Blase wirke wie ein gesetztes Segel.

Zwar sind Quallen generell schwer zu zählen. Meeresbiologen aber sind der Überzeugung, dass es immer mehr werden. Das gilt für sämtliche Arten. Auf der ganzen Welt breiten sich Quallen aus wie noch nie. Schuld daran, da sind sich Wissenschaftler einig, ist in erster Linie die Überfischung der Meere.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO schrumpften die Fischbestände binnen 40 Jahren um mehr als die Hälfte. In den europäischen Fanggebieten ist die Situation noch dramatischer: Im Mittelmeer gelten 93 Prozent der Bestände als überfischt (Stand: 2015).

Quallen fehlen die natürlichen Feinde

Eine der Folgen: „Den Quallen fehlen die natürlichen Feinde, von denen sie gefressen werden“, sagt Oceancare-Präsidentin Lüber. Das gilt auch für Meeresschildkröten, deren Lieblingsspeise Quallen sind, die zuhauf am Plastikmüll verenden. Auf der anderen Seite ernähren sich Quallen genauso wie Speisefische von Plankton und anderen winzigen Meereslebewesen. Gibt es weniger Fische, bleibt für die Quallen schlicht mehr Futter übrig.

Meeresforscher aus Großbritannien und Irland haben darüber hinaus herausgefunden, dass die durch den Klimawandel bedingte Erwärmung der oberen Meeresschichten für Quallen, anders als bei den meisten anderen Meeresbewohnern, von Vorteil ist. In den wärmeren und artenärmeren Meeren könnten sie sich wesentlich besser vermehren, schreiben sie im Fachjournal „Global Chance Biology“.

So fühlen sich auch neue Arten etwa im Mittelmeer heimisch, die mit dem zunehmenden Schiffsverkehr „einreisen“. Das galt zuletzt für die Nomadenqualle (Rhopilema nomadica): Die riesige tropische Giftqualle mit einem Gewicht von bis zu zehn Kilogramm gelangte durch den Sueskanal vom Roten Meer ins Mittelmeer und kann dort Schwimmern schmerzhafte Verletzungen zufügen.

Als weltweit giftigste Qualle gilt aber die Seewespe, eine Art der Würfelquallen, die vor allem in Nordaustralien treibt. Deren Gift, das sich in den Nesselkapseln der Tentakel befindet, bewirkt den Tod eines Kindes, das damit in Berührung kommt, innerhalb weniger Minuten. Um sich vor den Tieren zu schützen, werden in Australien ganze Badestrände seeseitig eingezäunt. Oder Schimmer gehen mit einem nesselsicheren Tauch-, Surf- oder Quallenschutzanzug ins Wasser.

Sicherheitsrisiko für Kernkraftanlagen

Der Leiter des ozeanographischen Instituts von Monaco, Robert Calcagno, hat ein Buch über Quallen geschrieben. „Quallen töten jedes Jahr rund 100 Menschen“, heißt es darin. Dagegen würde die Gefahr durch Haie überschätzt, denn deren Bisse führen weltweit im Schnitt jährlich nur zu zehn Todesfällen.

Auch an deutschen Küsten werden Quallen zunehmend zur Plage, auch wenn sie hierzulande verhältnismäßig harmlos sind. Nach Angaben des Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Geomar werden an den deutschen Küsten dreimal so viele Quallen gesichtet wie zu Beginn der 1990er-Jahre. Dann treiben auf Sylt oder in der Kieler Bucht manchmal Schwärme von Feuerquallen auf die Strände zu.

Oder Badende finden sich plötzlich inmitten Hunderter harmloser Ohrenquallen wieder. In Schweden, Japan oder Kalifornien werden die Quallen auch zum Sicherheitsrisiko für Kernkraftanlagen, weil sie die Filter der Kühlanlagen verstopfen.

Einige Mittelmeerländer haben den Quallen bereits den Kampf angesagt. Bei dem von der Europäischen Union geförderten Projekt Medjellyrisk sollen künftig ähnlich wie in Australien Netze im Meer gespannt werden, um Touristen vor den Tieren zu schützen. Sigrid Lüder von Oceancare hält davon wenig. Sie fordert vielmehr ein Umdenken und sagt: „Wenn wir weniger Fische fangen, löst sich das Quallenproblem ganz von allein.“