Peter sucht sein bestes Hemd heraus. Er wäscht und parfümiert sich, rasiert seinen Körper. Er legt das "Spielzeug" zurecht: Masken, Fesseln. Er packt alles in eine Tasche. Bevor er das Zimmer verlässt, zögert er einen Moment. Dann geht er. Drei Stunden später hat Peter* einen Menschen mit HIV infiziert. An diesem Abend wird er sich "wie Gott" fühlen und mit einem Lächeln auf den Lippen einschlafen.
Im Internet hat Peter eine Anzeige geschaltet: "Hengst mit hoher VL pozzt dich."
Pozzen, das bedeutet, jemanden absichtlich mit dem HI-Virus zu infizieren. VL bedeutet Viruslast. Je höher die Viruslast, desto mehr Erreger sind im Blut, im Sperma. Desto wahrscheinlicher ist eine Ansteckung.
Pozzen findet man im Internet auf Dutzenden Seiten. Dort sucht poz_boy einen Mann, der ihn "so richtig ansteckt" und 666Berlin will, dass "jemand meinen Freund pozzt". Dort schreibt abenteuer28, dass er "immer noch negativ" ist, und barekerl will ihm helfen.
Bei der Berliner Aidshilfe kennt man pozzing, es handle sich allerdings um Einzelfälle. "In Deutschland gibt es vielleicht ein paar Hundert Menschen, die mit dem Gedanken spielen, sich absichtlich zu infizieren - und ein paar Dutzend, die es tatsächlich tun", sagt der Geschäftsführer Kai-Uwe Merkenich.
Einer, der HIV-positiv wurde, weil er es so wollte, ist Mike*. Er ist 29 Jahre alt, lebt in einer deutschen Großstadt. Er macht gerade eine Ausbildung. Sein Freund hat einen leitenden Posten in einem internationalen Konzern. Mike ist einer dieser Menschen, die ein sonniges Gesicht haben, doch er sagt, dass immer ein Schatten auf ihm lag. Er war schon immer ein ängstlicher Mensch. Er wurde gehänselt. Warum, weiß er nicht. In der Schule gaben sie ihm einen Spitznamen, der so schlimm war, dass er ihn heute nicht mehr in den Mund nehmen will. Täglich wurde er von den Mitschülern verprügelt. Und dann, irgendwann, war er einfach froh, wenn er die erste Faust in seinem Gesicht spürte, wenn endlich die Angst weg und der Schmerz da war.
Er war schon lange aus der Schule raus, als er feststellte, schwul zu sein. Und auf Dinge zu stehen, denen viele Menschen nichts abgewinnen können: Gummimasken, Skinstiefel. Auf Sex, der sich um Gewalt und Beherrschung dreht. Und er stellte fest, dass er sich in einer Szene befindet, in der sehr viele Menschen das Virus in sich tragen. Da war sie wieder, die Angst. Gott, ich könnte positiv sein.
Gib mir das Virus
Als er mit der Angst nicht mehr leben wollte, suchte er im Internet Abhilfe. An dem Tag, an dem er sich infizieren wollte, setzte er sich in sein Auto und fuhr zu Jan, 30 Jahre alt, HIV positiv. Sie aßen zusammen Nudeln mit Fleischsauce, dann schliefen sie miteinander. Als sie fertig waren, weinte Mike noch stundenlang. Das war vor drei Jahren. Inzwischen ist Mike einer von 56 000 Menschen in Deutschland, die HIV positiv sind. Es werden mehr. 2006 infizierten sich in Deutschland 2700 Menschen, das sind 50 Prozent mehr als im Jahr 2000. Nur ein Viertel der Infizierten ist Heterosexuell. Das Virus breitet sich unter Homosexuellen besonders schnell aus, unter anderem, weil homosexuelle Männer im Durchschnitt häufiger den Partner wechseln als Heterosexuelle. "Das bewusste Eingehen von sexuellen Risiken ist ein schwules Phänomen. Das ist auch der Grund, warum das in der Szene so genannte Pozzen fast ausschließlich unter Schwulen vorkommt: Das Virus ist einfach näher an ihnen dran", sagt Phil Langer, Sozialpsychologe und Mitglied der Arbeitsgruppe HIV an der Universität München. "Fast jeder Schwule kennt jemanden, der positiv ist. Die Krankheit ist in den Gedanken sehr präsent und führt daher auch häufiger zu irrationalem Verhalten."
Phil Langer untersucht, warum sich homosexuelle Männer mit HIV infizieren. Er traf Menschen, die die Infektion absichtlich suchten. Er sagt, dass sie unterschiedlichste Gründe hätten. Er traf Männer, die sich infizierten, weil ihr Partner HIV-positiv ist und solche, die am sozialen Abgrund stehen. Er traf Menschen mit Todessehnsüchten. Er sagt, dass er manche von Ihnen verstehen kann. Er sagt, dass viele Erleichterung verspüren, wenn sie hören, dass sie nun positiv sind. Und dass viele verzweifeln, wenn sie später verstehen, was das heißt. Er sagt, dass Menschen, die sich verloren fühlen, oft die unglaublichsten Dinge tun.
Peter verkauft den Tod
Man findet diese Verlorenen auch im Internet. Carol* schreibt: "Hallo, bin 23j.und suche Typen die mich pozzen. Bis jetzt alles erfolglos. Bin nicht hässlich." Sie schreibt, dass sie positiv sein will, um auch andere anzustecken, "Schweine, die es nicht anders verdient haben." Sie fragt: Was ist besser als Sex und Tod zugleich?"
Martin* sagt, dass sein Freund positiv sei und sich weigere, ihn anzustecken, dass er aber endlich die Krankheit haben wolle, denn "dann steht nichts mehr zwischen uns".
Eigentlich will Peter sich gar nicht treffen und seine Geschichte erzählen. Eigentlich weiß er, dass es falsch war, all diese Menschen anzustecken. Schließlich willigt er doch ein, gibt der Reporterin Anweisungen wie in einem Spionagefilm. "Okay, aber ich geb' dir nicht meinen Namen, du schreibst nicht mit, wir treffen uns draußen auf der Straße." Und dann noch der Zusatz, er würde sie fertig machen, wenn sie etwas Falsches schriebe.
Am Berliner Kudamm ist es voll. Peter sieht gut aus, er ist groß, schlank, sein Gesicht kann man fast schön nennen. Er hat die weichen, kleinen Hände einer Frau, doch seine Nägel hat er bis aufs Fleisch abgekaut. Er sagt: "Was willst du wissen, mach schnell." Er friert, er zittert, er hat keine Zeit, er will hier nicht ewig quatschen.
Angesteckt habe er sich vor ein paar Jahren, auf "so Partys, auf denen nicht viel gefragt wird". Es sei ihm damals völlig egal gewesen, das mit dem "Scheiß-Aids". Als er dann erfuhr, dass er HIV positiv ist, da sei er total ausgerastet. Wie viele Menschen er dabei angesteckt hat? Er weiß es vermutlich selbst nicht.
Arbeitslos war er damals schon. Und dann noch die Krankheit. Aussätzig habe er sich gefühlt, sagt er. So, als würde er innerlich verfaulen. Manchmal stand er in seinem Badezimmer und schrubbte seine Haut, bis sie rot war, bis Blut an seinem Körper runterlief. Er scheuerte seine Oberfläche, als könne er sich von dem, was darunter vorgeht, reinwaschen.
Irgendwann hat Peter dann festgestellt, dass es Menschen gibt, die Leute wie ihn suchen. Einigen schenkte er den Tod. Anderen verkaufte er ihn. Für 200 Euro.
Wenn Peter spricht, dann hört er sich an wie jemand, der nicht weiß, was dort in seinem Blut geschieht. Dass die Viren Zellen befallen und sie so umwandeln, dass sie neue Viren produzieren. Dass sein Immunsystem ohne Behandlung etwa zehn Jahre klarkommt und dass ihm mit einer Therapie dann vielleicht noch einmal weitere zehn bleiben. Dass sich ständig neue, resistente Unterstämme im Körper bilden und dass er immer wieder andere Medikamente brauchen wird, die wiederum Depressionen oder starke Lähmungen auslösen können.
Bald wird man sehen, dass er krank ist. Weil seine Beine immer dünner werden und seine Wangen vielleicht einfallen. Weil er einen Stiernacken bekommt, jene Fetteinlagerung, die durch die Krankheit entsteht. Vielleicht will er nicht wissen, wie dann der Tod kommt. Er kann dann an einem harmlosen Magen-Darm-Erreger sterben oder an einer Lungenentzündung, die sein Immunsystem nicht mehr bewältigt. Er kann auch an einem Tumor zugrunde gehen. Oder verhungern. Manche Aidspatienten können die Nährstoffe nicht mehr verwerten und die Nahrung nicht mehr bei sich behalten.
Peter sagt, dass er viele kennt, die positiv sind, aber niemanden, der bislang daran gestorben ist. Vielleicht ist das am gefährlichsten an dieser Krankheit: Dass sie für viele so aussieht, als sei sie besiegt.
Als Anfang der 80er-Jahre die ersten Menschen an der Seuche starben, betraf es vor allem homosexuelle Männer. Als dann auch die ersten Heterosexuellen erkrankten, kam es zu hysterischen Reaktionen. Die Liste der diskutierten Ursachen reichte über medizinische Experimente der CIA hin bis zur "Strafe Gottes". 1983 gab es das erste Bild des Virus. "In den USA starb eine ganze Generation an Schwulen weg", sagt Kai-Uwe Merkenich von der Berliner Aidsstiftung. "Deshalb spielt pozzen dort eine größere Rolle." Dort spricht man auch vom "bug chaser" und "gift giver", zu Deutsch: Virussucher und Geschenkgeber. "Die jungen Homosexuellen identifizieren sich dort sehr stark mit den vielen Toten der alten Generation. Viele empfinden so eine Art Überlebensschuld, man kennt das von anderen Katastrophen", sagt Merkenich. "Die Krankheit ist in den USA stark stigmatisiert. Bis vor kurzem durfte man als HIV-Infizierter nicht einmal in das Land einreisen. So entstand ein Gefühl: Wir, die Schwulen - und ihr anderen. Und zum "Wir" gehört für manche auch HIV."
Ist Aids noch gefährlich?
Mike, der sich anstecken ließ, sagt, dass er es nicht bereut. Auf einer Gefährlichkeitsskala von eins bis zehn stufe er die Krankheit bei fünf ein. Seine Eltern, beide um die fünfzig, die werde er sicher überleben, sein Vater, der sei ja immerhin Kettenraucher. Und er, er ernähre sich ja gesund. Mike nimmt keine Medikamente, sein Immunsystem ist noch stabil.
Peter, der so viele angesteckt hat, sagt, dass er sich das auch mal alles anders vorgestellt hat. Früher, da wollte er mal ein Buch schreiben, was über Menschen, denn "eigentlich mag ich Menschen". Inzwischen hat er neun Menschen mit Hilfe des Internets getroffen. Jetzt sagt er, dass er die ganze Welt anstecken könne, wenn er wolle. Er drückt es drastischer aus. Vernichtender.
Jetzt will er nur weg, er läuft immer schneller. Ist dieses Interview endlich vorbei?
Gleich. Nur ein paar Fragen noch. Ob er weiß, dass das, was er tut, strafbar ist, Körperverletzung auf Verlangen? Ob er weiß, dass die meisten es irgendwann bereuen, krank zu sein? Ob er weiß, dass ihm selbst auch nicht mehr ewig Zeit bleibt?
Er schreit: "Du denkst jetzt, du lebst ewig, aber du lebst nicht ewig, du wirst genauso abkratzen wie ich auch, nur dass ich es jetzt schon weiß." Denn dreht er sich um und rennt weg, ganz so, als ginge es um sein Leben.
* Namen von der Redaktion geändert