Sie sollen Treibstoff produzieren, Krankheiten heilen oder Umweltgifte entschärfen. Synthetische Lebewesen sollen viele Probleme des 21. Jahrhunderts lösen. Bei ihrer Entwicklung entfernen sich Forscher von der universellen Sprache des Lebens. Das bietet Chancen – und birgt Risiken.
Der Golem, Frankensteins Monster oder die Dinosaurier aus „Jurassic Park“: Die Schaffung von Leben fasziniert Menschen seit jeher – bis vor Kurzem meist nur als Fiktion. Doch mittlerweile streben Forscher gezielt die Herstellung neuartiger Organismen an und wetteifern darum, wer das erste synthetische Lebewesen erschafft. Der Molekularbiologe George Church von der Harvard Medical School in Boston beschreibt seine Arbeit in einem Buch mit dem Titel „Regenesis“ –„Neuschöpfung. Wie die synthetische Biologie die Natur und uns selbst neu erfinden wird“.
Bei vielen Menschen weckt das Thema religiöse Assoziationen – und tief verwurzelte Ängste. Darf der Mensch Gott spielen? Und wie kann man sicherstellen, dass solche Experimente nicht aus dem Ruder laufen – wie so oft in Mythen, Literatur und Filmen?
Noch beschränkt sich die synthetische Biologie weitgehend auf Mikroorganismen. Zu den führenden Forschern auf dem Gebiet zählt Craig Venter, der als Erster das menschliche Genom sequenzierte. Ein Team um den US-Biochemiker stellte 2008 rein synthetisch das Erbgut des Bakteriums Mycoplasma genitalium her, bestehend aus knapp 583.000 Basenpaaren. Zwei Jahre später gelang es Forschern am J. Craig Venter Institute (JCVI), das etwa 1,1 Millionen Basenpaare umfassende Genom des Bakteriums Mycoplasma mycoides zu produzieren und in die leere Zellhülle einer anderen Art, M. capricolum, zu schleusen.
Das entstandene lebensfähige Bakterium tauften sie auf den Namen Mycoplasma mycoides JCVI-syn1.0. Zusätzlich zum Ursprungsgenom enthielt es vier Wasserzeichensequenzen. Ob das Bakterium wirklich ein synthetisches Lebewesen ist, darüber sind die Meinungen geteilt. Auf der einen Seite Venter: „Mit unserer synthetischen Zelle bauten wir auf einer Evolution von 3,5 Milliarden Jahren auf, aber wir versuchten nicht, sie nachzuvollziehen“, schreibt er im Buch „Leben aus dem Labor“. „Da wir das Genom abgewandelt hatten, gab es in der Natur keinen unmittelbaren Vorfahren der von uns geschaffenen Zelle. Mit unserem synthetischen Code hatten wir dem Strom des Lebendigen einen neuen Nebenfluss hinzugefügt“, so Venter. Andere Forscher wenden ein, Venters Bakterium basiere letztlich auf natürlichen Molekülen. „Die Herstellung war zwar synthetisch“, sagt Professor Torsten Waldminghaus vom Zentrum für Synthetische Mikrobiologie der Universität Marburg. „Letztlich ist das Bakterium die Kopie einer natürlichen Vorlage, abgesehen von den Wasserzeichen und anderen kleineren Veränderungen.“
Im Vergleich zu Venter ging der Harvard-Forscher Church noch einen großen Schritt weiter: Vor zwei Jahren schuf er mit seinem damaligen Mitarbeiter Farren Isaacs den ersten genetisch neucodierten Organismus (GRO; Genetically Recoded Organism). Was heißt das? Die DNA, die die Informationen zum Bau der 20 klassischen Aminosäuren – den Grundbausteinen der Proteine – trägt, ist bei allen Organismen gleich aufgebaut und wird gleich abgelesen. Egal ob bei Pflanzen, Bakterien oder Tieren. Church und Isaacs veränderten dagegen bei Kolibakterien die Art, wie die DNA abgelesen wird. Damit sorgten sie dafür, dass die Organismen zum Bau lebenswichtiger Proteine auf eine künstliche Aminosäure angewiesen waren.
Genetisches Alphabet ergänzt
Aufsehen in der Fachwelt erregte vor einem Jahr ein Team um Floyd Romesberg vom Scripps Research Institute in La Jolla im US-Staat Kalifornien mit dem Artikel „Ein halbsynthetischer Organismus mit einem erweiterten genetischen Alphabet“ im Fachblatt „Nature“: Die Wissenschaftler verließen die vier traditionellen DNA-Bausteine Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin, (A, T, G und C), die je nach Reihenfolge Zellen den Bauplan für Proteine liefern. Auch bei Kolibakterien (Escherichia coli) fügten die Wissenschaftler dem genetischen Alphabet eine Klasse unnatürlicher Basenpaare (UBPs) hinzu, die nicht nur toleriert, sondern weitervererbt wurden.
Für Waldminghaus stellt dies den bislang radikalsten Schritt in Richtung Xenobiologie dar, der Schaffung fremdartiger Lebensformen. Doch trotz aller Fortschritte der synthetischen Biologie: Von der tatsächlichen Schaffung von Leben sind Forscher letztlich weit entfernt. „Die faszinierendste Frage ist: ‚Was ist Leben‘“, sagt Waldminghaus. „Wir kennen inzwischen alle chemischen Bestandteile, aber wir können Leben nicht entstehen lassen. Es ist schön, dass es dieses Rätsel noch gibt“, sagt der Forscher.