Die Möhre auf dem Bildschirm wird immer kleiner. Pixelig-orangefarbene Karottenreste fallen ins Nichts. Schon 60 Prozent geschält, verkündet die Erfolgsanzeige. Frau Müller lächelt angestrengt und macht weiter kleine Bewegungen mit ihrem rechten Arm. Ein metallisches Exoskelett unterstützt jede Bewegung, entlastet den Arm vom eigenen Gewicht. Sensoren, verbunden mit einem Rechner, setzen die zaghaften Bewegungen auf dem Bildschirm um. An das Schneiden von echtem Gemüse wäre bei der Mittsiebzigerin nicht zu denken.
Vor drei Monaten hatte sie einen Schlaganfall. Nur langsam wird sie wieder Herr über ihre rechte Körperhälfte. Mehrmals pro Woche kommt sie dafür in das Rehazentrum auf dem Gelände des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Immer wieder trainiert sie hier früher einmal routinierte Bewegungsmuster, mal mit dem Therapeuten, mal mit dem Roboterarm „Armeo“. „Mit diesem Gerät trainieren wir vor allem die motorischen Fähigkeiten, auf spielerische Art und mit möglichst vielen Wiederholungen“, erklärt Ergotherapeutin Ilka Falke. Am Anfang der Therapiesitzung stellt die Therapeutin den Schwierigkeitsgrad ein. Danach übt Frau Müller eine halbe Stunde selbstständig. Schält virtuelle Möhren, wischt einen pixeligen Herd oder greift nach Eiern.
Richtige Bewegungsabläufe
Falke achtet auf die richtige Bewegung. Ob der Patient seinen Arm falsch belastet oder Ausweichbewegungen macht, spüren die Sensoren des Roboters nicht. Für viele Patienten ist die sogenannte robotergestützte Therapie samt Computerspiel eine willkommene Abwechslung. „Sonst bewege ich den Arm durch und mache Vorgaben. Beim Computerspiel sieht der Patient seine Erfolge deutlicher“, sagt Falke.
Seit etwa 15 Jahren wird an Robotern in der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten geforscht. Einige Systeme haben sich bereits in den Einrichtungen etabliert. Einer der größten Anbieter am Markt ist die Schweizer Firma Hocoma. Aus ihrem Haus stammt neben Armeo auch der Lokomat, ein Trainingsautomat für gelähmte Beine. Ein Exoskelett mit Elektromotoren bewegt die Beine auf dem Laufband. Gurte von der Decke sichern den Patienten. Auf einer Leinwand durchläuft er eine virtuelle Landschaft.
Die Hoffnung: Wie alle Bewegungen ist auch das Gehen Kopfsache. Durch die ständigen Wiederholungen werden die Schritte neu verinnerlicht und der Patient lernt seine Beine wieder richtig zu koordinieren. Das ginge auch ohne Roboter. Für eine vergleichbare Beinmobilisation sind aber mehrere Physiotherapeuten nötig. Im normalen Klinikalltag ein zu großer Aufwand. „Die Personaldecke ist oft zu knapp für solche aufwendigen Therapieeinheiten. Roboter könnten mittelfristig die Unterversorgung in der Rehabilitation ausgleichen“, sagt Catherine Disselhorst-Klug vom Institut für Angewandte Medizintechnik der RWTH Aachen.
Bedarf gibt es genug. In Deutschland erleiden etwa 260.000 Menschen pro Jahr erstmals einen Schlaganfall. Dank moderner Stroke-Units überleben die meisten. Ihre Rückkehr zur Normalität ist beschwerlich, die Erkrankung die inzwischen häufigste Ursache dauerhafter Behinderungen. Bei ihrer Rückkehr ins Leben zählt vor allem eins: Üben, üben, üben. „Je häufiger ein Patient trainiert, desto besser ist das Ergebnis“, sagt Disselhorst-Klug. Eine ideale Aufgabe für mechanische Therapeuten. Ein Armroboter schafft bis zu 1000 Wiederholungen pro Stunde mit einem Patienten und ist dauerhaft verfügbar.
Eine Vergleichsstudie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich untersuchte die Therapiefortschritte von insgesamt 77 Patienten, deren Schlaganfall länger als sechs Monate zurücklag. Die eine Hälfte der Probanden wurde konventionell behandelt, die andere nutzte Armroboter. Das Ergebnis: Die Unterschiede waren insgesamt klein. Doch Patienten mit besonders starken Lähmungen machen mit dem Roboter gute Fortschritte. Als Grund dafür vermuten die Forscher die hohe Intensität des Trainings. Dank spielerischer Elemente sind die Patienten oft motivierter bei der Sache und wiederholen ihre Übungen häufiger.
Mit Preisen von mehr als 50.000 Euro sind die Roboter allerdings für den Heimbedarf noch zu teuer. Nicht die einzige Schwäche: „Bei Bewegungen geht es nicht nur um die motorische Ausführung, sondern auch um die genaue Planung. Wenn der Roboter diese Planung übernimmt, fehlt ein wichtiger Teil“, sagt Disselhorst-Klug. Gerade die Propriozeption, also das Gefühl für Bewegungen, Haltung und die Position unseres Körpers im Raum, wird von Robotern nicht trainiert.
„Wenn der Roboter durch seine Bewegungen zusätzlich Impulse an die Muskeln weitergibt, kann die Propriozeption gestört und Bewegungsmuster falsch gelernt werden“, sagt sie. Gerade in der Gangtherapie zeigen sich solche Schwierigkeiten häufiger. Die Beinmuskulatur geht gestärkt aus der Robo-Therapie hervor. Für das Gehen ohne Hilfe ist noch einige Übung mit dem Therapeuten nötig.
Mobilität gefördert
Doch der Einsatz von Robotern endet längst nicht beim reinen Motorik-Training. Roboter könnten auch in „späteren“ Stadien der Rehabilitation eingesetzt werden. Ein Beispiel dafür ist das seit knapp zwei Jahren laufende Roreas-Projekt an der TU Ilmenau. „Unsere Zielgruppe sind Schlaganfallpatienten, die bereits mit einer Gehhilfe laufen können“, erklärt Projektleiter Andreas Bley von der Firma MetraLabs. Diese Menschen sind im Laufe ihrer Reha wieder mobil, aber ihr Orientierungssinn wurde in Mitleidenschaft gezogen. In der Klinik Bad Liebenstein testen die Wissenschaftler den Einsatz mannsgroßer Assistenzroboter beim Lauf- und Orientierungstraining. Dabei führt der Roboter die Patienten über die Flure der Klinik und gibt einfache Anweisungen. Das fördert die Mobilität und trainiert gleichzeitig das räumliche Orientierungsvermögen. Im Laufe der Rehabilitation nimmt er sich mit Orientierungshinweisen zurück. Die Rehaeinrichtung ist von der Möglichkeit jedenfalls überzeugt. Bis Ende 2015 sollen erste Untersuchungen zur medizinischen Wirksamkeit gemacht werden. „Wir werden in den nächsten Jahren eine klare Zunahme robotergeschützter Rehabilitation sehen“, sagt Bley.