Medizin

Prostata-Krebs – was nun?

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Hristio Boytchev

Er ist der häufigste Krebs bei Männern. Dennoch ist das regelmäßige Screening umstritten

Sein Vater ist mit 70 an Prostatakrebs gestorben. Seitdem hat Olaf Schreiner (Name geändert) Angst vor der Krankheit. Schreiner ist Ingenieur, 59 Jahre alt, ein gründlicher Mann, der Zahlen vertraut. Deshalb lässt er einmnal im Jahr seinen „PSA-Wert“ beim Arzt erheben, um vorzusorgen. Wenn der Krebs ihn treffen sollte, wollte er ihn rechtzeitig bekämpfen können. Inzwischen fragt sich Schreiner allerdings, ob ihn dieser Wert nicht in die Irre geführt hat.

Prostatakrebs ist eine Krankheit, um deren Diagnose und Therapie Experten streiten. Ab einem Alter von 45 Jahren können sich Männer in Deutschland vorsorglich auf den Krebs untersuchen lassen, der Arzt tastet die Genitalien und die Prostata ab. Außerdem kann man den PSA-Wert bestimmen lassen. PSA steht für „prostataspezifisches Antigen“ und benennt ein Enzym aus der Prostatadrüse. Nimmt seine Konzentration im Blut zu, kann das auf ein Prostatakarzinom hinweisen, die häufigste Krebserkrankung bei Männern.

Doch viele Gesunde würden durch den Blutwert zu Krebspatienten gemacht, das Screening führe zu unnötigen Behandlungen, schrieben Forscher im August im Magazin „The Lancet“. Und wenn Ärzte nach dem erhöhten Wert im Blut tatsächlich ein Karzinom an der Prostata eines Patienten finden, was ist dann die beste Therapiemethode? Es gibt inzwischen sogar Mediziner, die ganz davon abraten, Prostatakrebs im frühen Stadium zu behandeln. Es reiche, den Krebs zu beobachten, sagen sie.

Olaf Schreiner kannte diese Diskussion. Aber ganz falsch kann doch nicht sein, was die Ärzte anbieten?! Als sein Wert permanent anstieg, stieg auch Schreiners Angst. Im Sommer 2013 riet Schreiners Urologe zu einer Biopsie. Ist der PSA-Wert erhöht, bedeutet das nicht immer, dass auch ein Krebs vorliegt. Eine große Studie vom August zeigte, dass das Screening von knapp 800 Männern nur einen Tod durch Prostatakrebs verhindert hat. Einen einzigen. In vielen Fällen verläuft der Krebs so mild, dass er gar nicht behandelt werden müsste. Sieht man einen erhöhten PSA-Wert generell als Indiz für Krebs, werden einige Gesunde zu Krebspatienten, bemängeln Kritiker. Der Preis des Screenings seien zu viele unnötige Behandlungen.

Michael Stöckle, Direktor der Klinik für Urologie des Universitätsklinikums des Saarlandes, findet es nach der neusten Studie enttäuschend, dass der schützende Effekt des PSA-Screenings auch nach einigen Jahren nicht größer ausfällt. Dennoch ist er dafür, dass vor allem jüngere Männer sich testen lassen. In der „Lancet“-Studie seien verschiedenste Altersgruppen zusammengefasst, das könne die Ergebnisse verzerren. Doch die Kritiker des PSA-Tests haben noch ein Argument. Der Test erkennt nicht jeden Tumor, denn auch ein geringer PSA-Wert schließt einen Krebs nicht ganz aus. Der Test ist zu unspezifisch. Wenn aber ein Prostatakrebs erkannt wurde, der unheilbar ist – solche gibt es auch – so müsse ein Mann mit diesem Wissen erst einmal umgehen können.

Olaf Schreiners Biopsie deutete auf einen lokal begrenzten Tumor hin, ein frühes Stadium. Eine Option bei einem solchen Niedrigrisikokarzinomist es, keine Behandlung anzufangen oder erst wenn der Krebs nachweislich wächst. Der Berliner Urologe Professor Lothar Weißbach ist einer der entschiedensten Befürworter dieses Abwartens. Ihm war aufgefallen, dass viele seine Patienten ohne Probleme mit Prostatakrebs lebten. „In Deutschland wird zu viel operiert“, sagt er. Gründe dafür gebe es viele. „Bei den Patienten löst das Wort Krebs eine Lebensangst aus, sie glauben, gewaltsam vorgehen zu müssen.“ Dass Prostatakrebs aber nur für sehr wenige lebensbedrohlich ist, wüssten viele Betroffene nicht. Kliniken verdienten aber Tausende Euro pro Eingriff.

Natürlich, sagt Weißbach, habe auch die Überwachung ihre Nachteile. Das Abtasten und die Blutabnahme, die vierteljährlich und möglicherweise bis ans Lebensende stattfinden, seien unangenehm. Bei manchen Patienten müssten zudem bis zu vier Biopsien gemacht werden – die Eingriffe können Nerven beschädigen, die für die Potenz wichtig sind. Das reine Beobachten und damit das Unterlassen der Behandlung könne zudem bei wenigen Patienten doch zu einem tödlichen Verlauf der Erkrankung führen. Und die psychische Belastung könne für Patienten sehr hoch sein.

Bei einer Operation wird die Prostata teilweise oder ganz entfernt. Doch der Eingriff kann den Krebs nicht immer stoppen. Außerdem führt er häufig zu Inkontinenz oder Impotenz. Mehr als die Hälfte der Männer verliert nach der Entfernung der Prostata ihre Potenz.

Olaf Schreiner entschied sich für Bestrahlungen. Nur wenige Deutsche wählen diesen Weg bisher – das radikale Herausschneiden suggeriert eine höhere Sicherheit. Dabei hat man die Stahlendosis in den vergangenen Jahren erhöht, dadurch nimmt die Gesamtdauer der Bestrahlung ab, und die Nebenwirkungen schwinden. Bestrahlungen haben heute eine ähnliche Erfolgsaussicht wie Operationen. Bei Schreiner sah es aus, als sei er einer der Erfolgsfälle. Bei Nachuntersuchungen war sein PSA-Wert niedriger. Doch bei der letzten Untersuchung ist der Wert wieder gestiegen.