Transportieren, reparieren und heilen: In der Nanobionik nutzen Forscher organische Prozesse für neuartige Techniken

Vor 30 Jahren entwickelte der US-Nanotechnologiepionier Kim Eric Drexler einen visionären Blick in die Zukunft. Intelligente molekulare Maschinen bauen dünne Filme, die aus Sonnenlicht effizient elektrische Energie gewinnen, Zellen reparieren, Krebs heilen und Materialien schaffen, die sich selbst erneuern. Heute sind solche Nanoroboter keine Utopie mehr. Bei der Entwicklung orientieren sich Forscher an Bio-Strukturen, die die Evolution bereits auf Höchstleistung getrimmt hat. So entstehen neue Anwendungen für Medizin, Energietechnik und selbstheilende Stoffe.

Der Chemiker Ulrich Lüning von der Universität Kiel hat beispielsweise eine lichtgetriebene Pumpe entwickelt, die nach dem Vorbild der Natur positive Ladungsträger, Protonen, durch eine Membran befördert. Das Herzstück sieht aus wie eine Hantel, auf deren Stange sich ein Ring hin und her bewegt. Im Labor funktioniert das nur vier Millionstel Millimeter große, molekulare Bauteil bereits. Als Vorbild diente Lüning ein Proteinmolekül, das Bacteriorhodopsin. Damit haben Mikroben schon vor Jahrmilliarden Solarkraftwerke entwickelt, die Sonnenlicht in chemische Energie umwandeln. „Dass unser Experiment funktioniert, zeigt, dass wir das Prinzip eines gezielten Protonentransports im natürlichen Vorbild, den Zellen, nachbauen können“, freut sich Lüning.

Das Prinzip wollen die Forscher nun auf weitere Systeme übertragen und so neue Wege in der Energieerzeugung eröffnen. Beispielsweise könnten auf solchen Komponenten basierende Generatoren die Umwandlung von Licht in Strom verbessern. Die Natur nutzt die Energiewandler vielfältig. Beispielsweise als Transportmolekül, das Algen die Orientierung zum Licht hin ermöglicht.

An neuartigen Instrumenten für die Medizin arbeiten auch US-Forscher der Harvard University. Viren, genauer gesagt die Form ihrer Hülle, mit deren Hilfe sie ihre genetische Fracht nicht nur platzsparend verpacken, sondern auch vor Angriffen des Immunsystems tarnen, dient der Gruppe um William Shih als Vorbild. „Wir imitieren die Funktionen von Viren, um Therapien zu entwickeln, mit deren Hilfe sich Zellen gezielt verändern lassen“, erläutert er.

Ausgangsmaterial sind DNA-Moleküle, bekannt als Träger der Erbinformationen. Sie eignen sich als gestaltgebendes Material. Aus den DNA-Molekülen lassen sich käfigförmige Träger (Nanocarrier) herstellen, die in ihrem Inneren Medikamente gezielt an bestimmte Stellen im Organismus transportieren und zum Beispiel Tumoren bekämpfen.

Selbst heilende Kunststoffe

Zunächst am Computer hat Shih das Modell eines DNA-Moleküls entworfen. Es knickt an vorbestimmten Stellen ein und lässt sich so in eine Form bringen. DNA-Origami heißt die Methode in Anlehnung an die japanische Kunst des Papierfaltens, mit der sich komplex aufgebaute 3D-Strukturen zaubern lassen. Die regelmäßig geformten „Käfige“ aus DNA sind stabil, und Abwehrzellen nehmen von ihnen kaum Notiz, wie sich in Versuchen mit Zellkulturen herausstellte.

In Versuchen mit Mäusen untersuchten die Forscher, welchen Weg die Nanocarrier durch den Körper nehmen und ob sie dem Umbau durch den Stoffwechsel widerstehen. Die Carrier wurden mit einem leuchtenden Farbstoff markiert und den Tieren in den Blutkreislauf injiziert. Dann verfolgten die Forscher in einem Tomografen ihre Leuchtspur. Es zeigte sich, dass die DNA-Käfige genauso lange im Organismus blieben wie die Medikamente, die sie transportieren sollen – eine wichtige Voraussetzung für den therapeutischen Einsatz. „Patienten könnten enorm von solchen maßgeschneiderten Werkzeugen profitieren, welche die DNA-Nanotechnik bereitstellt“, ist Shih überzeugt. Noch steht eine mögliche Nanotherapie ganz am Anfang, da erst Tests zur Sicherheit und Wirksamkeit beim Menschen erfolgreich verlaufen müssen.

An einem ähnlichen Konzept arbeitet auch ein Forscherteam aus Aarhus, Rom und Durham (North Carolina). Der Clou: Der Transportbehälter besitzt einen Öffnungsmechanismus. Der Mechanismus ist über die Körpertemperatur aktivierbar. Bei 37 Grad Celsius weiten sich die DNA-Streben. Fällt die Temperatur auf vier Grad Celsius, ziehen sich die Moleküle zusammen und der Käfig schließt sich wieder. Auf diese Weise können kleinere Moleküle in dem Käfig eingefangen werden. Noch einen Schritt weiter geht die Konstruktion, welche Forscher an der Universität von Tokio kürzlich vorgestellt haben. Ihr Nanocarrier besteht aus einem speziellen, fassförmigen Eiweiß.

In dem Fass steckt eine ausgefeilte Maschinerie, die andere Eiweiße gezielt aufnimmt, sie in Form bringt und wieder ausschleust. So ließen sich Medikamente intelligent verpacken, um sie beispielsweise zu Entzündungsherden im Körperinnern zu verfrachten.

Biomolekulare Vorgänge im Körper inspirieren auch Materialforscher. Mit Hilfe eines Prozesses, welcher der Wundheilung nachempfunden ist, wollen US-Forscher am Massachusetts Institute of Technology selbstheilende Polymergewebe entwickeln. Das Prinzip haben sie sich bei der Blutgerinnung abgeschaut. Ihre Kollegen von der University of Illinois in Urbana-Champaign sind schon ein Stück weiter. Im Fachblatt „Science“ stellten sie kürzlich die erste selbstheilende Kunststofffolie vor. Wie beim menschlichen Körper sorgen in der Folie eingebettete Kapillaren für den Verschluss bei einer „Verletzung“ des Polymers. Diese Kapillaren sind mit zwei verschiedenen Chemikalien gefüllt, die bei einer Beschädigung der Folie austreten. Die Mischung erstarrt und verschließt binnen Minuten das Loch.