Medizin

Deutsche verbrauchen mehr Medikamente

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Lutz Bergmann

Dabei wachsen die regionalen Unterschiede. Der Osten liegt bei vielen Leiden vorn, etwa bei Diabetes

- Die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) sind 2011 um vier Prozent im Vergleich zum Vorjahr gefallen. Diese Botschaft hat die Geschäftsführerin des Verbands Forschender Pharma-Unternehmen (VFA), Birgit Fischer, anlässlich der Präsentation des Arzneimittel-Atlas 2012 in Berlin verkündet. Grund dafür sind gesunkene Arzneimittelpreise. Die resultieren aus staatlichen Eingriffen wie dem Zwangsrabatt, aber auch freiwilligen Rabatten der Hersteller, Patentabläufen und stärkerem Wettbewerb.

Nach Angaben des IGES-Instituts betrugen die Ausgaben für Arzneimittel 2011 rund 29 Milliarden Euro. Damit wurden rund 1,2 Milliarden Euro weniger für Arzneimittel ausgegeben als im Jahr zuvor. Zwar wurden mengenmäßig mehr Arzneimittel verbraucht und auch eine Reihe innovativer und teurer Mittel war auf den Markt gekommen, was ein Plus von 1,4 Milliarden Euro ausmachte. Das wurde aber mehr als kompensiert. Einerseits durch "technische Einsparungen", also etwa durch die vermehrte Nutzung günstigerer Nachahmerpräparate (Generika) oder durch eine verbesserte Wirkung der Medikamente und niedrigere Arzneidosen. Das reduzierte die Kosten um 640 Millionen Euro. Und schließlich sanken die Kosten unter dem Strich um gut 1,7 Milliarden Euro, weil die Hersteller und Apotheken gesetzlich zu höheren Rabatten gezwungen worden waren.

Staat senkte die Preise per Gesetz

Verantwortlich für die niedrigen Arzneimittelpreise ist also vor allem der Staat. Der führte 2010 einen Herstellerabschlag in Höhe von 16 Prozent ein. Zusätzlich kommt den Verbrauchern entgegen, dass 2011 einige Patente abgelaufen sind: Zu den umsatzstärksten zählen Blutverdünner und Magenmittel. Auch die Unternehmen haben durch freiwillige Rabatte die Preise verringert. So konnten die Arzneimittel-Ausgaben pro GKV-Versicherten im Jahr 2011 um fast vier Prozent auf knapp 390 Euro sinken. Die Zeit der niedrigen Preise hat seit diesem Jahr allerdings ein Ende: Der Spitzenverband der GKV teilte mit, dass sie im ersten Halbjahr um 3,5 Prozent zugenommen hätten. Wenn sich dieser Trend fortsetze, würden sich die Mehrausgaben in diesem Jahr auf eine Milliarde Euro summieren.

Fischer sieht den Fokus auf den Preis als gefährlich an. Sie fordert, dass künftig mehr auf die Versorgung des Patienten Acht gegeben werde und wünscht sich einen Preis pro Versorgung statt pro Medikament. Dadurch könne man effizient, nachhaltig und berechenbar mit den Finanzen des gesamten Systems kalkulieren.

Dass das wichtig ist, zeigt das letzte Jahr: 2011 konnten Pharmaunternehmen für viele Patienten mit schweren Krankheiten ein wirksames Arzneimittel entwickeln. Bei der Behandlung der Multiplen Sklerose etwa können Entzündungen nun besser behandelt werden. Die Therapie von Diabetes hat sich auch verbessert. Dort setzten Ärzte nun vermehrt auf sogenannte Inkretin-assoziierte Wirkstoffe, die als Insulin-Ersatz dienen. Deren Vorteil ist, dass der Patient nicht zunimmt. Bei den bisherigen Medikamenten legten Diabetes-Patienten, besonders in den ersten Monaten der Therapie, an Gewicht zu. Medikamente gegen Diabetes machten im vergangenen Jahr sechs Prozent des Arzneiverbrauchs aus. Am meisten stieg im vergangenen Jahr allerdings der Verbrauch von Medikamenten gegen Bluthochdruck und gegen Autoimmunreaktionen, sogenannte Immunsuppressiva.

VFA-Geschäftsführerin Fischer möchte allerdings nicht nur die Therapie verbessern, sondern auch mehr auf die regionalen Unterschiede in Deutschland eingehen. In Ostdeutschland liegt unter anderem der Verbrauch von Anti-Diabetesarzneien pro Versichertem beispielsweise viel höher als im Westen. Dem müssten auch die Rabatte angepasst werden.

In den Bundesländern unterscheiden sich die Arzneimittel-Ausgaben teilweise deutlich. Mecklenburg-Vorpommern ist Spitzenreiter mit 494 Euro pro GKV-Versicherten auf den Plätzen zwei und drei folgen Berlin (484) und Sachsen (474). Am wenigsten ausgeben muss die Gesetzliche Krankenversicherung für Versicherte in Bayern mit je 342 Euro. Ein wichtiger Grund für die hohen Ausgaben im Osten ist, dass dort mehr alte Menschen leben, die mehr Medikamente benötigen. Menschen in Ostdeutschland sind aber im Durchschnitt auch beleibter als Bürger im Süden oder Norden der Republik. Das spiegelt sich in den höheren Ausgaben für Diabetes wider. Regionale Ungleichgewichte kommen aber auch zustande, wenn Patienten aus dünn besiedelten Ländern mit schwacher Infrastruktur in städtischen Zentren therapiert werden. Das ist in Berlin zu beobachten: Die Patienten kommen aus dem Umland in Berlins spezialisierte Tumorzentren.