Auszeichnung

Der Mensch als Roboter

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Norbert Lossau

Beim Weltwirtschaftsforum in Davos werden die „Technology Pioneers 2014“ gekürt

Innovative Technologien, mit denen sich bislang Unmögliches erreichen lässt, sind der Rohstoff für das Wirtschaftswachstum der Zukunft. Verständlich also, dass auf dem in Davos stattfindenden World Economic Forum (WEF) auch Ausschau nach solchen Technologien gehalten wird. Auf dem Forum wurden 36 junge Firmen als „Technology Pioneers 2014“ gekürt. Ein Komitee aus internationalen Experten hatte sie aus einer großen Zahl von Kandidaten ausgewählt. Dabei spielte nicht nur das Potenzial der Technik für wirtschaftlichen Erfolg eine Rolle, sondern auch ihre gesellschaftliche Relevanz.

In früheren Jahren war die Wahl der „Technology Pioneers“ oft ein guter Indikator für neue Trends. Insofern dürften wir von einigen der jetzt ausgezeichneten Firmen noch häufiger hören. Die meisten Innovationen kommen nach wie vor aus den USA. Nur eine deutsche Firma wurde 2014 in den Kreis der Technikpioniere aufgenommen.

Strom aus Abwärme

Die 2009 gegründete Firma Alphabet Energy aus Kalifornien überzeugt beispielsweise mit einer neuen Technik zur Gewinnung von elektrischer Energie aus Abwärme. Thermoelektrische Elemente, die Temperaturunterschiede in elektrischen Strom umwandeln können, gibt es schon lange. Ihre Effizienz ist indes gering. Die thermoelektrischen Chips von Alphabet Energy arbeiten nach einem anderen physikalischen Prinzip. Sie bestehen aus Silizium und funktionieren wie Solarzellen, die aus Sonnenlicht elektrische Energie gewinnen.

Silizium hält auch hohe Temperaturen aus, so dass sich zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten ergeben. So kann beispielsweise Strom aus dem heißen Auspuff eines Autos gewonnen werden. Das erste Produkt der kalifornischen Start-Up-Firma soll allerdings ein Thermowandler sein, der aus der Abwärme eines Dieselgenerators Elektrizität gewinnt. Eine Vision des Firmengründers Matthew Scullin ist die Stromgewinnung aus der menschlichen Körperwärme. Damit könnte sich unterwegs zum Beispiel ein Mobiltelefon aufladen lassen.

Ähnlich überzeugend ist die Technologie der Bostoner Firma Oasys Water. Deren Forscher haben eine effiziente Methode zur Gewinnung von sauberem Wasser aus stark verunreinigtem Wasser entwickelt. Der Kern dieser Technik ist eine Membran, die mithilfe des osmotischen Effekts die Inhaltsstoffe aus dem Wasser herausfiltert. Bislang war es in vergleichbaren Fällen notwendig, dass Wasser vollständig zu verdampfen.

Bei der Innovation der Firma WiTricity Corporation geht es um die kabellose Nutzung kleinerer Elektrogeräte. Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology (MIT) haben eine Technik entwickelt, die als resonante, kabellose Energieübertragung bezeichnet wird. WiTricity nutzt diese Technik als Lizenz. Denkbar ist der Einsatz dieser Methode zum Aufladen von kleinen Akkus, mit denen implantierte Herzpumpen versorgt werden. Auf diese Weise kann auf die Verlegung von Kabeln durch die Körperoberfläche verzichtet werden.

Zum „Technology Pioneer“ gewählt wurde auch die japanische Firma Cyberdyne aus Tsukuba. Dort wurde ein „Roboteranzug“ entwickelt, der Patienten nach einer Verletzung oder nach einem Schlaganfall das Wieder-Gehen-Lernen erleichtern soll. Das HAL genannte System („Hybrid Assistive Limb“) kann über die Beine gezogen werden und unterstützt dann die Beinbewegungen. HAL registriert dazu bio-elektrische Impulse auf der Haut, die auftreten, wenn das Gehirn bestimmte Muskeln aktivieren will. Aus diesen Signalen errechnet der Roboteranzug, welche Bewegung der Mensch durchführen will und bewegt sich dann selber unterstützend.

Eine noch größere Herausforderung ist es, Blinde wieder sehend zu machen. Zumindest für bestimmte Formen von Blindheit ist dies mit einer Innovation der US-Firma Second Sight Medical Products möglich – nämlich bei einer Degeneration der Netzhaut und dem Ausfall der Fotorezeptoren. Die Forscher haben ein „Argus II“ genanntes Implantat entwickelt, das Betroffenen zumindest ein rudimentäres Sehen ermöglichen kann. Eine Brille mit eingebauter Kamera nimmt die Umgebung auf. Die Daten werden per Funk in das Netzhautimplantat gesendet und dort in einer vom Gehirn verständlichen Codierung in den Sehnerv eingespeist. Eine lernfähige Software sorgt dabei über die Rückmeldung des Patienten für einen Anpassungsprozess der wahrgenommenen Sinneseindrücke.

Hilfe gegen Krebs

Große Hoffnungen weckt auch ein neuer Ansatz zur Therapie von Krebs bei der Firma BIND Therapeutics aus Cambridge, USA. Dort hat man Nanopartikel entwickelt, die gezielt an Tumorzellen andocken und auf dem Weg dahin nicht vom körpereigenen Immunsystem erkannt und abgefangen werden. Die Accurine genannten Nanopartikel können mit Wirkstoffen zur Bekämpfung von Krebszellen ausgestattet werden.

Der einzige deutsche Technology Pioneer in Davos ist das Mannheimer Unternehmen Adtelligence. Hier ist die Innovation eine Software, mit der Online-Shops Seiten für ihre Kunden in Echtzeit personalisieren können. Je nach Persönlichkeitsprofil des potenziellen Käufers werden Produkte so präsentiert, dass die Kaufwahrscheinlichkeit maximiert wird. Die Leitungsfähigkeit dieser Software, so erklärt Firmengründer und CEO Michael Altendorf, lasse sich in der Praxis unmittelbar belegen. Man müsse ja nur einen bestimmten Teil der Kaufinteressenten ohne diese Optimierung bedienen und statistisch vergleichen. Das Besondere an der Software ist ihre Fähigkeit, in Echtzeit zugängliche Informationen über den Kunden aus verschiedenen Datenbeständen zu beschaffen, miteinander zu verrechnen und Folgerungen für die Präsentation der Produkte ziehen.