Studie: Abgabenlast in Deutschland am zweithöchsten. 49,8 Prozent des Gehalts sind für den Staat

- Deutschlands Arbeitnehmer werden trotz Euro-Schuldenkrise künftig deutlich mehr Geld in der Tasche haben. Die verfügbaren Einkommen werden nach der jüngsten Wirtschaftsprognose der Bundesregierung 2012 und 2013 mit über drei Prozent so stark wie seit zehn Jahren nicht mehr steigen. Während viele Euro-Staaten unter Massenarbeitslosigkeit und drohender Rezession leiden, sieht Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) die heimischen Firmen in Top-Verfassung. "Deutschland geht es gut. Die deutsche Wirtschaft kommt wieder in Schwung", sagte er am Mittwoch in Berlin. Nach 0,7 Prozent in 2012 soll das Wachstum der neuen Frühjahrsschätzung zufolge 2013 bei 1,6 Prozent liegen. Nach Steuern und Abgaben soll das Plus bei den verfügbaren Einkommen laut Regierung in diesem Jahr bei 3,3 Prozent liegen. Im nächsten Jahr steigen sie danach um weitere 3,1 Prozent. "Damit wachsen die verfügbaren Einkommen in vier aufeinanderfolgenden Jahren so stark wie seit zehn Jahren nicht mehr", erklärte Rösler. Die Teuerungsrate bleibt aber laut Prognose in diesem Jahr mit 2,3 Prozent hoch.

Nur Belgien schröpft noch mehr

Schon 2011 blieb den Deutschen trotz wieder leicht gestiegener Steuer- und Abgabenlast etwas mehr vom Arbeitseinkommen im Portemonnaie. Grund sind vor allem gestiegene Löhne und Gehälter, hieß es in einer OECD-Studie. Im internationalen Vergleich stellen die Autoren fest, dass unter allen 34 Mitgliedsländern nur in Belgien der Faktor Arbeit noch stärker als in Deutschland belastet wird. Für ledige Durchschnittsverdiener kletterte die Gesamtbelastung in Deutschland um 0,6 Prozentpunkte auf 49,8 Prozent. Am geringsten sind die Abgaben in Chile, Neuseeland, Mexiko, Israel, Südkorea oder der Schweiz. Im Schnitt der Industriestaaten liegt die Belastung bei 35,3 Prozent.

Mit dem Anstieg liegt Deutschland im OECD-Trend: 26 von 34 Mitgliedern der Organisation bürdeten ihren Arbeitnehmern 2011 höhere Gesamtlasten auf als noch 2010. Die Steigerung machte allerdings in den meisten Fällen weniger als einen Prozentpunkt aus. Grund waren überwiegend gestiegene Einkommensteuern.

Dagegen stiegen in Deutschland fast ausschließlich die Sozialabgaben. "Diese Erhöhung wie auch die Inflation konnten aber durch die Steigerung der Nominallöhne um 3,4 Prozent ausgeglichen werden, sodass sich die Nettogehälter leicht im Plus bewegten", erklärte die OECD. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sprach von einer "Trendwende" in Deutschland, denn in den vorangegangenen Jahren war der Anteil von Steuern und Abgaben an den Gesamtarbeitskosten kontinuierlich zurückgegangen. Davon profitierten vor allem kinderlose Spitzenverdiener. Sie wurden gegenüber dem Jahr 2000 um fünf Prozentpunkte entlastet und liegen heute bei 51,3 Prozent. Für Alleinerziehende mit geringem Einkommen lagen die Lohnabzüge dagegen mit 31,2 Prozent lediglich um einen halben Prozentpunkt niedriger als im Jahr 2000. In ihrer Studie "Taxing Wages" berechnen die Autoren die Steuer- und Abgabenlast für alle OECD-Länder in acht verschiedenen Haushaltstypen und Einkommensniveaus. Zur Spitzengruppe gehören neben Belgien und Deutschland auch Frankreich, Italien, Ungarn, Schweden und Österreich. Deutschland rückt etwas näher an den OECD-Schnitt, wenn man statt eines kinderlosen Singles ein Ehepaar mit zwei Kindern betrachtet. Dieses kommt in Deutschland auf 34 Prozent, in der OECD insgesamt auf 25,4 Prozent. Die OECD merkt dazu an, die Belastung für Familien sei in allen Industriestaaten mit Ausnahme von Mexiko und Chile geringer als für Alleinstehende. Deutschland gehöre aber zu den wenigen Ländern, in denen der Unterschied mehr als 15 Prozentpunkte beträgt.

In Deutschland machen die Sozialabgaben mit über einem Drittel der Arbeitskosten den Löwenanteil der Belastung aus. Der Steueranteil ist mit 16 Prozentpunkten nicht einmal halb so groß. Die Bundesregierung hatte Anfang 2011 den Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung um 0,6 Prozentpunkte auf 15,5 Prozent erhöht. Zugleich stieg der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 0,2 Prozentpunkte auf 3,0 Prozent. Die schwarz-gelbe Koalition plant Steuersenkungen für 2013 und 2014 im Umfang von sechs Mrd. Euro. Im Bundesrat fand sich dafür bislang keine Mehrheit.

Spitzensteuersätze sinken

In einem Sonderkapitel betrachtet die OECD die Veränderungen der Steuersätze in den letzten 30 Jahren. Danach sind die Höchststeuersätze und auch die nominellen Steuersätze für Durchschnittseinkommen drastisch gesunken. 1990 lag der Höchstsatz im Durchschnitt der OECD noch bei 50,6 Prozent, heute sind es nur noch 41,7 Prozent. Deutschland liegt beim Höchststeuersatz auf dem neunten Platz. Spitzenreiter ist Schweden, gefolgt von Belgien und Dänemark. Steuersätze sagen aber wenig über die tatsächliche Steuerlast aus. Die tatsächlichen Steuern entwickelten sich oft unabhängig von vermeintlichen Steuersenkungen. Grund: Die Schwellen zu einzelnen Tarifzonen wurden verändert und Freibeträge gestrichen.