Verkehr

Die Bahn sucht Anschluss im Osten

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Nikolaus Doll

Wären fünf Kinder wie bei Familie Hahn deutscher Standard, hätte Vater Michael Hahn einen deutlich leichteren Job. Viele Kinder bedeuten volle Schulbusse - und der Schülerverkehr in ländlichen Regionen ist für Hahn, den Leiter der Bussparte der Deutschen Bahn AG (DB), eine der wichtigsten Einnahmequellen.

Aber Hahns sind bekanntlich nicht Standard, die Zahl der Kinder sinkt in Deutschland seit Anfang der 90er-Jahre kontinuierlich und damit die der Schüler. Und als ob das nicht reichen würde, hat Michael Hahn noch ein weiteres Problem: In Westdeutschland, dort also, wo die roten Bahnbusse seit Jahrzehnten besonders stark vertreten sind, werden bis 2019 praktisch alle Busverkehrsleistungen neu ausgeschrieben. "Wir müssen mit Einbrüchen rechnen, werden im Westen Marktanteile verlieren. Ohne Federn zu lassen, kommen wir da wohl nicht raus", sagt Hahn.

Konzessionen neu ausgeschrieben

Aber natürlich hat Hahn ein Konzept gegen den Schwund von Passagieren und Einnahmen, sonst wäre er in diesem Jahr nicht als Buschef der DB angetreten. Die Ausgangslage ist dabei wie folgt: Die Bussparte der Bahn, mit täglich 150 000 Verbindungen größter deutscher Busanbieter, hat in den alten Bundesländern einen Marktanteil von rund 70 Prozent. Bis vor einigen Jahren war der Westen für die Bahnbusse salopp gesagt eine sichere Bank. Denn ausgeschrieben, also im Wettbewerb vergeben, wurden die Verkehre so gut wie nie. 2005 lag die Quote der Vergaben bei einem Prozent, das war gut für die Bahn. Seit 2010 sind es allerdings bereits zehn Prozent. Die Bahn muss damit rechnen, dass weitere Anbieter versuchen, mit Kampfpreisen Marktanteile zu erringen.

Noch ist der Wettbewerb im Westen überschaubar, aber der DB-Konzern spürt ihn bereits schmerzhaft. "Seit 2007 ist die Marge im regionalen Busgeschäft der Bahn rückläufig. 2010 lag unsere Marge bei 4,5 Prozent, wir machen also noch Gewinn. Aber wenn der Trend so steil weitergeht wie in den vergangenen Jahren, sind wir bald bei null. Das kann ganz kippen", sagt Michael Hahn. Bei manchen Konzessionen fährt der Konzern bereits rote Zahlen ein. "Das hat man früher hingenommen. Da war Marktanteil an sich ein Wert", sagt der Buschef. "Heute können wir uns das nicht mehr leisten. Denn inzwischen können wir die verlustreichen Verkehre nicht mehr so leicht durch Gewinnbringer auffangen."

Die Folge davon werde sein, dass die Bussparte der Bahn künftig nicht mehr automatisch wie früher für alle Konzessionen im regionalen Busverkehr bieten werde, kündigt Hahn an. Das heißt, manche Kommune wird sich mühen müssen, überhaupt einen Busanbieter zu finden. Der schlimmste anzunehmende Fall, also kein oder ein deutlich abgespecktes Busangebot, wäre für jene, die auf dem Land leben und auf Busse angewiesen sind, besonders bitter. Einige Kommunen standen bereits vor diesem Dilemma, das nordbadische Schwetzingen zum Beispiel.

Nach einer Ausschreibung verliefen Verhandlungen mit DB Bus nicht nach Wunsch der Stadt, die Bahn war draußen. Doch auch Gespräche mit privaten Verkehrsanbietern führten nicht zum gewünschten Ergebnis des Kämmerers. Nun fährt dort doch wieder die DB Bus. So gut wird es nicht immer für die Bahn laufen, daher setzt Hahn auf ein Maßnahmenbündel gegen weiteren Schwund. "Ich sehe vier Möglichkeiten, mögliche Rückgänge in Westdeutschland kompensieren zu können: Durch neue Verkehre im Osten und in größeren Städte, wo wir bislang nicht so stark vertreten sind", sagt er. Durch Angebote wie Freizeitfahrten oder Verkehre für Dritte wie die britischen Streitkräfte und zuletzt durch Verkauf des Know-hows der DB Bus in diesem Geschäft, beispielsweise bei der Installation von regionalen Busleitsystemen, soll das neue Angebot abgerundet werden.

Zugewinne in Großstädten

In Ostdeutschland hat die DB Regio Bus besonders gute Wachstumschancen, denn ihr Marktanteil dort liegt bei weniger als zehn Prozent. Anders als im Westen befinden sich die regionalen Busgesellschaften in Ostdeutschland überwiegend in Händen der Kreise. Die Deutsche Bahn ist dort bislang nur mit drei Anbietern aktiv, in den Umlandgemeinden östlich von Berlin und im Großraum Dresden. Diese Position will Hahn nun ausbauen. Daneben setzt der Buschef darauf, bundesweit neue Verkehre in den Großstädten zu gewinnen - auch dort ist die DB-Sparte bislang nicht besonders stark. "Ich sehe ganz gute Chance, auch in das Busgeschäft der Städte einzusteigen. Selbst wenn dort weiterhin direkte Vergaben, beispielsweise an die jeweiligen Stadtwerke ohne Ausschreibungen möglich sind."

Die Bereitschaft der Städte, die Bahn gegenüber den eigenen Stadtwerken zum Zuge kommen zu lassen, wird überschaubar sein. Aber dann gibt es ja auch noch die Möglichkeit der Kooperation. "Wir arbeiten an einer Ausweitung von Partnerschaftsmodellen mit den Kommunen, von Public Private Partnerships auf Augenhöhe. Das wäre vor allem eine Lösung in den alten Bundesländern, dort gibt es so etwas noch nicht", sagt Hahn. DB Bus betreibt bereits verschiedene Formen von Kooperationen mit kommunalen Verkehrsunternehmen. Das reicht von der Werkstattkooperation bis zur Gemeinschaftskonzession. "Wir wollen aber stärker auch Partner in der Eigentümerstruktur sein", sagt Hahn.

Fernverkehr nicht im Fokus

Neben den ländlichen Verkehren und einigen Konzessionen in Städten wie Worms oder Speyer ist die DB Regio Bus auch im Fernverkehrsgeschäft aktiv - und auch dort die Nummer eins bundesweit. Bislang war dieses Geschäft einträglich, schon deshalb weil ein Gesetz aus den 30er-Jahren Konkurrenten es schwer gemacht hat, der Bahn dort Strecken abzujagen. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat nun beschlossen, den Fernbusmarkt zu liberalisieren, doch der Bahnkonzern sieht das gelassen. Ein Grund dafür ist, dass dieses Geschäft für DB Bus nicht im Fokus steht, dort werden nach Angaben der Bahn Umsätze im zweistelligen Millionenbereich erwirtschaftet. Buschef Hahn glaubt nicht an die unbegrenzten Möglichkeiten für die Konkurrenz, welche die Marktliberalisierung bieten soll. Er schätzt das gesamte Marktvolumen des Busfernverkehrs in Deutschland auf maximal 300 Mio. Euro pro Jahr. Mit Kampfangeboten werde die Bahn nicht gegen neue Wettbewerber vorgehen. Was nicht heiße, dass die Bahn dort, wo es neue, private Buslinien gebe, sich abseits halte, wenn es dort Geld zu verdienen gebe, kündigt Hahn an.