Der Ablauf ist stets der Gleiche: Grube wirbt trotz zahlreichen Pannen, Ausfällen und Verspätungen "um Vertrauen", die Politik rügt, verlangt Besserung und droht andernfalls mit Konsequenzen. Aber das größte Defizit der Deutschen Bahn, der Mangel an Fahrzeugen - egal ob im Fernverkehr oder bei der S-Bahn Berlin - lässt sich in absehbarer Zeit nicht lösen.
Fünf Jahre dauert es durchschnittlich, bis neue Züge konstruiert, gebaut und zugelassen sind. Weil der Druck auf den Konzern ständig wächst, ist der Vorstand der Deutschen Bahn auf eine im Grunde naheliegende Lösung verfallen: Robuste Züge, die für den Regionalverkehr bestellt wurden, sollen verändert auf Fernstrecken eingesetzt werden. Das bringt den Deutschen die ersten Doppelstock-Züge im Fernverkehr.
Erste Pläne waren bereits kurz vor Weihnachten durchgesickert, doch jetzt steht fest: Die Deutsche Bahn setzt von Anfang 2014 an bei langen Distanzen auf Doppeldecker. Der Konzern hat zum Jahreswechsel beim Schienentechnikhersteller Bombardier 27 IC-Doppelstockzüge mit 135 Wagen bestellt. Der Berliner Morgenpost liegt das erste Bild vor, das zeigt, wie der IC-Doppeldecker aussehen wird.
Die Bahn investiert vier Millionen Euro in die neuen Züge. Sie sind für Tempo 160 ausgelegt und sollen eine Zulassung für Tempo 185 bekommen. Damit eignen sie sich für Fernstrecken, die derzeit nicht von den Hochgeschwindigkeitszügen ICE 3 befahren werden. Wie es bei der Bahn heißt, sollen die Doppeldecker-IC-Züge zunächst auf drei Linien eingesetzt werden, unter anderem im Nordwesten Deutschlands.
Bahn-Chef Grube geht mit dem Projekt drei der dringendsten Probleme im Personenverkehr an. Erstens verschafft er sich in absehbarer Zeit die dringend nötigen Reserven. Zum anderen senkt er die Kosten des Konzerns in der Fernverkehrssparte. Und er verzahnt die Geschäftsbereiche Fern- und Regionalverkehr besser.
Derzeit ist die Bahn kaum in der Lage, bei Zugausfällen Ersatz auf die Schienen zu schicken. Das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) fordert nach dem Bruch eines Radsatzes, dass bei sämtlichen ICE-3- und ICE-T-Zügen die Achsen getauscht werden. Bis die benötigten Teile eingebaut sind, werden mehrere Jahre vergehen. Die Hochgeschwindigkeitsflotte, die in kurzen Abständen zum Check in die ICE-Werke muss, wird also bis auf Weiteres hohe Ausfallquoten haben.
Gleichzeitig verzögert sich der überfällig Austausch der IC-Flotte. Noch haben sich Bahn und der Technologiekonzern Siemens nicht auf einen Preis für die bis zu 300 IC geeinigt, die das neue Rückgrat des Bahn-Fernverkehrs bilden sollen. Siemens ist "bevorzugter Bieter" und vermutlich der einzige Lieferant, der ernsthaft infrage kommt. Geplant war, dass bis Jahresende 2010 ein Abschluss vorliegen, nun heißt es, man werde sich "voraussichtlich im ersten Halbjahr dieses Jahres" einigen.
Selbst wenn es dazu kommt, können die neuen IC-Züge erst von 2015 an im Einsatz sein - das bedeutet, dass der Fernverkehr erst dann entlastet und stabiler laufen wird. So lange will und kann Grube nicht mehr warten. Daher nun seine Kehrtwende. Der Konzern verzichtet darauf, neue Hochgeschwindigkeitszüge anzuschaffen, und lässt bereits bestellte Doppelstockwagen für den Regionalverkehr umrüsten. Das hat zwei Vorteile: Erstens sind diese Wagen bereits bestellt, lange Verhandlungen entfallen damit. Zweitens lässt sich die Umwandlung in Fernzüge ohne allzu großen Aufwand bewerkstelligen. Die Bahn bekommt ihre neuen Fernzüge also in absehbarer Zeit mit einem überschaubaren Kostenaufwand.
Der Staatskonzern kann die Züge bereits Ende 2013 abrufen, weil der Auftrag - wenn auch für Regiozüge - bereits mit Bombardier ausgehandelt wurde. Die Züge sind Teil eines Rahmenvertrags zur Lieferung von bis zu 800 klimatisierten Zügen. Die Ausstattung soll nicht hinter dem üblichen Standard im Fernverkehr zurückfallen, heißt es bei der Bahn. Die Doppelstock-IC bekommen mehr Beinfreiheit, als es in bestehenden ICE-Zügen gibt, Leselampen, Steckdosen an jedem Doppel- beziehungsweise Einzelsitz. Außerdem soll es moderne Informationsanzeigen geben, reichlich Platz für die Gepäckablage und die Möglichkeit, Fahrräder im Zug zu transportieren.
Einschränkungen gibt es nur in einem Bereich: Die Zwei-Etagen-Züge haben aus Platzgründen kein Bordbistro mehr. Es wird also nur Snacks am Platz geben, wenn Bahn-Mitarbeiter mit ihren Wägelchen durch die Abteile gehen.
Die Bahn greift mit den Doppeldecker-Plänen auf Überlegungen zurück, die etwa zehn Jahre zurückliegen. Damals hatte man den Einsatz von Zügen mit zwei Ebenen ernsthaft erwogen und erste Studien erstellen lassen - doch das Projekt wurde fallen gelassen. Nun sorgte auch das Tauziehen mit Siemens um die Erneuerung der IC-Flotte dafür, die alten Pläne aus der Schublade zu holen.
Ein Einsatzkonzept fehlt noch
Die Deutsche Bahn will als Ersatz für die IC-Flotte neue Bahnen mit insgesamt 130 000 Sitzplätzen bestellen und dem Vernehmen nach rund 28 000 Euro pro Platz zahlen. Siemens besteht aber auf bis zu 40 000 Euro pro Sitzplatz. "Preise, wie sie die Bahn bereit ist zu zahlen, sind für einen Hersteller in Europa nicht darstellbar", sagte ein Siemens-Sprecher. Die Preisspanne für das gesamte Programm bewegt sich derzeit zwischen 5,6 und rund acht Milliarden Euro.
Ein detailliertes Einsatzkonzept für die von Regional- zu Fernbahnen umgewidmeten Doppelstock-Züge von Bombardier gibt es zurzeit noch nicht, diskutiert wird aber, die Züge zum Start auf drei Linien fahren zu lassen - sollten die weiß lackierten Zwei-Etagen-Bahnen angenommen werden, ist geplant, das Angebot auszuweiten. Auch weitere Bestellungen sind möglich, wie es bei der Bahn heißt.
Bahnen mit zwei Ebenen gibt es in vielen Ländern, doch sie werden vor allem in Ballungsräumen mit hohem Fahrgastaufkommen eingesetzt. Im Fernverkehr sind sie bislang vor allem in Frankreich, Japan oder Finnland unterwegs. Die Schweizerischen Staatsbahnen SBB haben Doppeldecker für den Fern-Einsatz bestellt.
"Die Bahn verspricht mehr Beinfreiheit als in ICE-Zügen, Leselampen, Steckdosen an jedem Sitz"