Weitere Zinssenkungen?

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Holger Zschäpitz

Es könnte für Anleger zu früh sein, schon jetzt alles auf die Aktien-Karte zu setzen. Positiv wären weitere Leitzinssenkungen und eine schlappe Wirtschaft vor allem für den Rentenmarkt, meinen Experten. Zunächst profitiert aber der Aktienmarkt.

Berlin - Der konsequente Aktionär müsste jetzt sein Sparschwein schlachten, sein Rentenportfolio plündern und dann jeden Cent an die Börse tragen. Denn nach Ansicht der meisten Experten ist mit der kräftigen Zinssenkung der Europäischen Notenbank um 50 Basispunkte auf 2,75 Prozent nun das Potenzial für eine weitere Lockerung der Geldpolitik erschöpft. Dies ergab eine Umfrage dieser Zeitung unter Volkswirten führender Investmentbanken.

Im Klartext bedeutet dieses Ergebnis: Der Zinssenkungszyklus ist abgeschlossen und damit brechen neue Zeiten für die Märkte an. «Wenn die Leitzinsen am Tiefpunkt sind, sollte man dem Rentenmarkt den Rücken kehren und Aktien aufstocken», sagt Matthias Jörss, Stratege bei Sal. Oppenheim. «Wir werden am Aktienmarkt auf Sicht von sechs Monaten höhere Kurse sehen. Die Hausse wird zu Lasten der Staatsanleihen gehen.» Bernd Meyer von der Deutschen Bank drückt seine hoch gesteckten Erwartungen in Punkten aus. «Der Dax wird auf Jahressicht um 20 Prozent klettern, das bedeutet einen Stand von 4000 Punkten.»

Ob Mitte 1967, Anfang 1972, Ende 1987 Anfang 1996 oder Anfang 1999 - am Ende jedes einzelnen Zinssenkungszyklus' setzten die Aktienmärkte in der Regel mit einem gewissen Zeitabstand zu einer breiten Rallye an, wohingegen Anleihen an Terrain einbüßten. Der Hintergrund: Glauben die Unternehmer nicht mehr an weiter fallende Renditen, werden sie sich die günstigen Zinssätze für Kredite sichern und damit ihre Investitionen ankurbeln. Die privaten Haushalte wiederum sparen bei niedrigeren Geldmarktsätzen weniger und geben mehr Geld für den Konsum aus. Oder aber sie legen ihr Kapital wieder stärker am Aktienmarkt an. Unter dem Strich bringen niedrigere Leitzinsen also deutliche positive Impulse für die Konjunktur und die Börse - vor allem wenn es sich um die letzte in einem Zyklus handelt.

Soweit die Theorie.

In der Praxis könnte es dieses Mal jedoch ganz anders kommen. Denn nach dem Platzen der Spekulationsblase halten einige wenige Analysten den Weg zu einem nachhaltigen Aufschwung noch für äußerst steinig. «Wir leben in einer Post-Bubble-Ära', die dadurch gekennzeichnet ist, dass die klassischen Mechanismen aus niedrigeren Zinsen und steigenden Investitionen oder Konsumausgaben so einfach nicht mehr funktionieren», sagt Rainer Guntermann, Ökonom bei Dresdner Kleinwort Wasserstein. Seiner Ansicht nach wird die Wirtschaft in Euroland im kommenden Jahr weit unterhalb ihrer Möglichkeiten wachsen. Gleichzeitig sieht er weiter fallende Inflationsraten. «Spätestens im zweiten Halbjahr 2003 wird die Diskussion über eine weitere Lockerung der Geldpolitik wieder aufflammen», sagt Guntermann. Eine Auffassung, der sich Dieter Wermuth von der UFJ Bank anschließt. «Ich sehe den Tiefpunkt bei den Leitzinsen erst bei zwei Prozent und damit 75 Basispunkte niedriger als heute.» Sollten Wermuth und Guntermann Recht behalten, stünden dem Markt noch einmal stürmische Zeiten bevor.