Zinsschritt in Reichweite

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Anja Struve und Beatrix Wirth

Frankfurt/Main - Deutlicher als in den vergangenen Tagen kann eine Zentralbank eine bevorstehende Zinssenkung wohl kaum ankündigen. Insgesamt zehn der 18 EZB-Ratsmitglieder haben sich zuletzt zu Wort gemeldet - so viele waren es bisher nur im ersten Wirkungsjahr der Europäischen Zentralbank (EZB). Doch anders als damals ist der Tenor des sonst so vielstimmigen Rates diesmal relativ eindeutig: «Wenn wir auf mittlere Frist keine negativen Aspekte für die Preisentwicklung sehen, könnten wir möglicherweise einen Zinsschritt tun», kündigte am Freitag Bundesbank-Präsident und EZB-Ratsmitglied Ernst Welteke an.

Ähnlich hatte sich zuvor unter anderem EZB-Vize Lucas Papademos geäußert.

Rückenwind erhalten die Währungshüter von den jüngsten Preis- und Konjunkturdaten aus dem Euroraum. So schwächte sich die Teuerungsrate im November nach vorläufigen Berechnungen des Europäischen Statistikamts auf 2,2 Prozent ab und fiel damit sogar niedriger aus als von Volkswirten erwartet. Gleichzeitig sank das Vertrauen der europäischen Verbraucher im November auf den tiefsten Stand seit fünf Jahren.

Die Mehrzahl der Volkswirte rechnet deshalb fest damit, dass die EZB auf ihrer letzten Zinssitzung in diesem Jahr am 5. Dezember die Zinsen um mindestens einen viertel Prozentpunkt auf dann drei Prozent senken wird. «Die Impulse, die ein solcher kleiner Zinsschritt der Wirtschaft liefern kann, sind zwar begrenzt», sagt Karsten Junius von der Deka-Bank. «Aber für mehr hat die EZB angesichts einer Inflationsrate von über zwei Prozent und einem immer noch hohen Geldmengenwachstum keinen Spielraum.»

Seit Monaten schon liegen diese beiden Indikatoren über jenen Werten, die die EZB mit Blick auf ihr wichtigstes Ziel - die Preisstabilität - für angemessen hält. «Der schwächelnden Wirtschaft würde ein großer Zinsschritt sicher mehr helfen als zwei kleine Trippelschritte», meint auch Jörg Krämer, Chefvolkswirt von Invesco. Doch auch er rechnet eher mit einer Zinssenkung um nur 25 Basispunkte. «Schließlich neigen so inhomogene Gremien wie der EZB-Rat dazu, keine großen Schritte zu machen. Auf 25 Basispunkte werden sich die Währungshüter am ehesten einigen können.»

Ein Kursfeuerwerk dürfte diese Entscheidung Strategen zufolge allerdings nicht entfachen. «Aber zumindest kurzfristig sollte die Erleichterung der Börsianer, dass die EZB endlich etwas tut, für einen positiven Schub am Aktienmarkt sorgen», sagt Dirk Guber von der Privatkundenstrategie bei HSBC Trinkaus&Burkhardt. Schließlich hätten die europäischen Börsen gegenüber den US-Märkten in Sachen Zinssenkung noch Nachholbedarf. Auch am Rentenmarkt dürften die Reaktionen nur verhalten ausfallen, meint Ralf Welge von der Commerzbank. «Eine Zinssenkung um 25 Basispunkte entspricht genau dem, was die Märkte schon seit einiger Zeit erwarten.» Viel wichtiger sei daher, ob es der EZB gelinge, die Zinssenkungserwartung auch für die kommenden Monate aufrecht zu erhalten.

Ein Zinsschritt um einen halben Prozentpunkt könnte sich nach Einschätzung einiger Anleiheexperten unter diesem Aspekt sogar negativ auswirken und womöglich zu einem Ausverkauf am Rentenmarkt führen - mit in der Folge steigenden Zinserwartungen. Einen Vorteil hätte die zu erwartende kleine «Streicheleinheit» der EZB deshalb, meint Guber: Die belebenden Zinshoffnungen bleiben dann erhalten. Dennoch hofft er, dass sich die Zentralbank zu einem markanteren Schritt durchringt.