Der Fall Pixelpark

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Hilmar Poganatz

Der Internetdienstleister Pixelpark gehörte zu den ganz Großen der New Economy. Ende der neunziger Jahre schien auch in Berlin alles möglich zu sein. Die Verantwortlichen hätten besser Bertold Brecht lesen sollen, bevor sie sich ins Abenteuer stürzten. Seine Oper «Mahagonny» weist erstaunliche Parallelen zu Aufstieg und Fall Pixelparks auf.

«Darum lasst uns hier eine Stadt gründen, und sie nennen Mahagonny, das heißt: Netzestadt! (...) Überall gibt es Mühe und Arbeit, aber hier gibt es Spaß.»

Wie bei der Gründung der goldenen Netzestadt in Bertolt Brechts Oper «Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny» herrscht auch Goldgräberstimmung bei den Netz-Designer von Pixelpark, als sie im Frühjahr 2000 ihre neue Firmenzentrale in der Oberbaum-City beziehen. Rund 500 Pixels, wie sich die Mitarbeiter zu dieser Zeit noch nennen, bringen eine neue Unternehmenskultur in die fünf Etagen der Backstein-Fabrik an der Spree. Eine Aktie der Gesellschaft kostet 180 Euro, und der tiefe Fall zum Penny-Stock scheint undenkbar. Doch schon im Folgejahr 2001 versiegt der Auftragseingang, und die Bilanz weist einen Verlust von 86 Mio. Euro aus. Selbst harte Umstrukturierungen bringen kaum Besserung. Heute notiert das Wertpapier um die 90 Cent.

«Was hoch ragt, das muss in den Staub. Wir brauchen keinen Hurrikan, wir brauchen keinen Taifun, denn was er an Schrecken tun kann, das können wir selber tun.»

«Aufstieg und Fall der Firma Pixelpark» ist ein Jahrzehnt Geschichte, das stellenweise die Züge einer Fiktion annimmt. Es beginnt als Unternehmertraum. In einem Moabiter Hinterhof gründet Paulus Neef 1991 mit zwei Freunden eine Mini-Firma für die Entwicklung von CD-ROMs und Systemen zur elektronischen Kundenberatung. Neef gelingt es erstaunlich schnell, Großkunden wie Karstadt, Allianz und Lufthansa seine interaktiven Verkaufs-Visionen zu vermitteln. Der Umsatz verdreizehnfacht sich bis 1995 auf 7,7, Mio. DM.

«Wir hatten das Gefühl, Dinge zu tun, die vor uns noch niemand so gemacht hatte», erinnert sich der Berliner Betriebsratsvorsitzende und Art Director Markus Kempken heute. Auch ein Betriebsrat schien damals undenkbar, «Geschäftsleitung und Mitarbeiter haben dieselben Interessen», beschwor der Paulus, mit dem man alle Probleme noch persönlich besprechen konnte.

«Rasch wuchs in den nächsten Wochen eine Stadt auf, und die ersten Haifische' siedelten sich in ihr an.»

1996 erreicht Pixelpark, inzwischen ein allumfassender, viel beachteter und sogar Stil bildender Internet-Dienstleister für Design, Beratung und Vertrieb, den ersten Wendepunkt: Neef verkauft zu einem unbekannten Preis 75 Prozent der Firmenanteile an den Bertelsmann-Konzern. «Wir hatten eine kritische Größe erreicht, und brauchten einen starken Partner», gibt er später zu Protokoll. Mit dem frischen Geld eröffnet Pixelpark Filialen in Hamburg, Frankreich, England und der Schweiz.

«Das war die erste Entfremdung», erinnert sich Kempken, «Paulus war plötzlich von Anzugträgern aus Gütersloh umgeben und nicht mehr erreichbar.» Pixelpark wird zur Speerspitze der großen Multimedia-Strategie des damaligen Bertelsmann-Lenkers Thomas Middelhoff. Im Oktober 1999 bringen er und Neef Pixelpark als erste europäische Bertelsmann-Tochter an die Börse.

«Die Nachricht von der Gründung einer Paradiesstadt erreicht die großen Städte.»

Der Anfangserfolg übertrifft selbst höchste Erwartungen, die allgemeine Internet-Euphorie katapultiert die Aktie von 15 auf 190 Euro. Pixelpark erreicht kurzzeitig die Gewinnzone, die Mitarbeiterzahl wächst auf mehr als 1200, «jeden Monat gab es eine Einführung für rund 40 Neulinge», erzählt Kempken heute. Doch dann scheitert mit der Übernahme der schwedischen Cell Networks Neefs ganz großer Wurf, und kurz darauf versetzt die Pleite von Boo.com der Internetbranche den ersten Tiefschlag - der Fall beginnt.

«In dieser Phase rächte sich die einseitige Ausrichtung auf die ganz großen Kunden», sagt Kempken rückblickend. Ende 2000 lässt Ober-Bertelsmann Middelhoff wissen, die Internet-Beratung passe nicht mehr in seine Konzernstrategie. Die Aufbruchsstimmung ist verflogen, stattdessen gehen die Pixel in den oft leeren Gängen einander aus dem Weg.

Doch Neef gibt nicht auf, immer wieder überredet er Bertelsmann dazu, frisches Geld zu geben - bis heute 40 Mio. Euro. Gleichzeitig laboriert er weiter an der Investitionsleiche Venturepark, dessen Portal-Projekt Sportgate (unter der Ägide von Tennisstar Boris Becker) im Juni 2001 spektakulär scheitert. Die Pixelpark-Aktie fällt unter vier Euro, und Neef kündigt einen Rückzug aus Osteuropa und Stellenstreichungen im großen Stil an.

Bis heute fielen 750 Stellen weg, weitere 200 sollen folgen. Gerüchten zufolge sollen in Deutschland ganze 40 Arbeitsplätze in Köln übrigbleiben, die teure Berliner Niederlassung soll bis auf ein paar Mitarbeiter zusammen geschrumpft werden. Der neue Bertelsmann-Chef Gunter Thielen will nach seinem Amtsantritt schleunigst mit dem New-Economy-Kapitel abschließen und bei Pixelpark aussteigen.

Bertelsmann bietet seinen Anteil von rund 60 Prozent an, doch die Interessenten winken ab. Sogar Gründer Neef selbst stellt Ende September seine Aktien zum Verkauf. Und Aufsichtsratschef Jürgen Richter - erst seit einigen Monaten im Amt - verlässt das gremium Anfang November schon wieder. «Wir erwarten jetzt stündlich die letzten Entscheidungen», berichtet Kempken jetzt.

Besserung ist nicht in Sicht. Einige Großkunden nutzen zwar weiterhin die von Pixelpark entworfenen Systeme - allerdings mit anderen Dienstleistern. Auch Neef sieht die «Investitions-Zurückhaltung nicht mehr als kurzfristige Entwicklung an». Die Firma soll eine neue Finanzspritze von mehr als zehn Mio. Euro benötigen, um über die Runden zu kommen - trotz der einschneidenden Personalmaßnahmen, heißt es in der Branche. Neef arbeite, so wird kolportiert, bereits mit Beratern der Firma Roland Berger an Endzeitszenarien.

«In Anbetracht der ungünstigen Wirtschaftslage billigt das Gericht sich mildernde Umstände zu ...»

So verhöhnt am Ende von «Mahagonny» ein Schurken-Gericht den Angeklagten Paul, um ihn dann zum Tode zu verurteilen. Wegen Verführung, vor allem aber «wegen Mangels an Geld, was das größte Verbrechen ist, das auf dem Erdenrund vorkommt».

Die ganze Brecht-Oper