Gnadenfrist für Versicherer

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Michael Fabricius

Für die Mehrzahl der deutschen Versicherer wird ein existenzielles Problem gelöst. Ihre Aktienpakete sind durch die Börsentalfahrt deutlich weniger wert. Mit den Abschreibungen auf ihre Wertpapierbestände können sie sich jetzt aber Zeit nehmen.

Berlin - Die deutschen Lebensversicherungen haben eine Gnadenfrist erhalten. Aber auch die Börsianer insgesamt können erst einmal aufatmen. Denn die neuen Bewertungsregeln, die das Institut der deutschen Wirtschaftsprüfer (IDW) für die Assekuranzen vorschlägt, dürften den seit Wochen auf dem Aktienmarkt lastenden Verkaufsdruck entweichen lassen. Zwar schreiben die Bilanzprüfer eine strengere Abschreibungspraxis als bisher vor. Viele Gesellschaften müssen demnach zum Jahresende ihre Aktien-Kursverluste abschreiben. Gleichzeitig eröffnet das Institut den Versicherungen aber auch gleich mehrere Hintertüren.

Eigentlich müssen die Versicherer den Vorschlägen zufolge ihre Kapitalanlagen wertberichtigen, wenn der Kurs einer Aktie am Bilanzstichtag um mehr als 20 Prozent unter dem Buchwert liegt. Doch das IDW erlaubt es den Gesellschaften, beispielsweise mit Hilfe positiver Analystenprognosen darzulegen, dass die Aktie doch nicht dauerhaft im Tief verharrt, sondern bald wieder an Wert gewinnen wird. Dies würde nur eine Teilabschreibung nach sich ziehen. Und selbst wenn sich keine positive Analystenstimme findet, können die Assekuranzen den Dax-Durchschnitt der vergangenen zwölf Monate für die Bewertung ihrer Aktien zugrunde legen. «Erwartet man für den Dax-Jahresdurchschnitt 4000 Punkte, sollte es bei großen Versicherern wenig Abschreibungen geben», stellt Analyst Volker Kudszus von WestLB Panmure fest. Lediglich die Assekuranzen, die unter mangelhafter Kapitalausstattung litten und bereits 2001 gemäß Paragraf 341 HGB Abschreibungen in dieses Jahr verschoben hätten, gerieten in Bedrängnis.

«Die Versicherungen haben unter dem Strich einen erheblichen Spielraum für die Bewertung ihrer Aktienbestände erhalten», sagt Ralph Bressler vom Bankhaus Lampe. Zum Jahresende würden daher wohl weniger Verluste realisiert als bislang erwartet. «Das ist eine Entlastung für den gesamten Aktienmarkt», so Bressler.

Entsprechend reagierte der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) gelassen auf die IDW-Vorschläge. Sollten diese angenommen werden, werde der Abschreibungsbedarf nicht «riesig» sein, sagte ein GDV-Sprecher. Die großen Gesellschaften, die ohnehin bereits nach dem im Vergleich zum HGB strengeren IAS (International Accounting Standard) bilanzieren, zeigten sich ebenfalls gelassen. Allianz und Münchener Rück begrüßten die Vorschläge des IDW. Es mache Sinn, wenn die Versicherer ihre Aktienbestände nach vergleichbaren Regeln abschreiben müssten.

Unterdessen zeichnet sich ab, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFin) das IDW-Konzept absegnen wird. «Es handelt sich um einen vernünftigen Lösungsansatz, der den Besonderheiten des Versicherungsrechts Rechnung trägt», sagte BAFin-Sprecher Peter Abrahams.

Den Aktionären nützten die neuen Abschreibungsregeln zunächst wenig. Die Kurse der Versicherer gerieten am Freitag wieder kräftig unter Druck. Die Allianz-Aktie verlor bis zum Nachmittag 4,5 Prozent auf 82,55 Euro.