«Gregor Gysi hatte einen gewissen Unterhaltungswert»

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Barbara Brandstetter

Die Berliner Wirtschaftspolitik ist Hans-Olaf Henkel zu träge und zu wenig visionär. Mehr Tempo beim geplanten Großflughafen nebst Verkauf von Tegel und Tempelhof schlägt er vor. Und er rät dem Senat, mehr in die Bundespolitik einzugreifen. Das Ende des Ladenschlussgesetzes etwa könnte Berlin anziehender machen und mehr Arbeitsplätze bringen.

DIW-Chef Klaus Zimmermann sieht für Berlins Wirtschaft schwarz. Teilen Sie seine Meinung?

Hans-Olaf Henkel: In seiner Einschätzung der wirtschaftlichen Lage Berlins kann ich ihm nur voll und ganz zustimmen. Noch 1989 war Berlin die mit Abstand größte Industriestadt Deutschlands. Der Absturz in die industrielle Bedeutungslosigkeit ist daher hier besonders dramatisch.

Was sind die Gründe?

Ein Grund ist sicherlich der zu schnelle Abbau der Berlin-Förderung.

Was muss die Stadt tun?

Zum Beispiel sich dafür einsetzen, dass die restlichen Bonner Ministerien nach Berlin verlegt werden. Das wäre das richtige Signal. Und genug Kapazitäten sind hier vorhanden. Die Doppelhauptstadt kostet den Steuerzahler jedes Jahr viele Millionen Euro.

Welche Standortvorteile hat Berlin?

Einer sind die vielen außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Wir haben hier zahlreiche Einrichtungen in Adlershof oder Buch und im Zentrum das WZB oder DIW. Diese werden zur Hälfte vom Land Berlin und zur anderen Hälfte vom Bund und den Ländern finanziert. Deshalb: Jeder zusätzliche Euro, den der Senat in außeruniversitäre Forschungseinrichtungen steckt, zieht zwei weitere Euro von Bund und Ländern nach Berlin.

Gibt es noch weitere?

Wir haben eine ausgesprochen interessante Kulturlandschaft. Damit meine ich nicht nur die drei Opernhäuser, das sind zu viele. Ich meine die Off-Kultur wie die Oranienburger Straße oder den Stuttgarter Platz. Es gibt viele Menschen, die gern in einer solchen Stimmung arbeiten würden, aber keinen Arbeitsplatz finden. Also, diese Off-Kultur soll man ohne staatliche Mittel ausbauen, um Anreize für Firmen und potenzielle qualifizierte Mitarbeiter zu schaffen.

Was hat der Berliner Senat versäumt?

Der Berliner Senat hat versäumt, Industrie und Wirtschaft Vorteile zu bieten, die es woanders in Deutschland nicht gibt. Genau das Gegenteil haben sie getan. Nehmen Sie einmal das Tariftreuegesetz. Das war ausgerechnet eine Berliner Idee. Ich kann der Berliner Politik nur raten, sich im Bund dringend dafür einzusetzen, mehr an Städte und Betriebe zu delegieren, damit man vor Ort eigene Standortvorteile entwickeln kann.

Woran denken Sie dabei?

Zum Beispiel das Ladenschlussgesetz. Wir sind das einzige Land, in dem die Zentralregierung regelt, wann Läden geöffnet sein dürfen. In Holland beispielsweise können die Kommunen selbst regeln, wie lange geöffnet ist. Der Bund soll die Verantwortung für das Ladenschlussgesetz an die Kommunen übertragen. Dann können die Berliner unabhängig von den Kölnern selbst entscheiden, ob sie sonntags kaufen und verkaufen wollen. Wenn Berlin sich die Verantwortung in die Stadt holt und das Ladenschlussgesetz aufhebt, kommen die Leute aus den langweiligeren anderen deutschen Städten noch lieber, wenn sie wissen, dass Geschäfte auch am Sonntag geöffnet sind.

Was könnte Berlin noch tun?

Berlin könnte, wenn es sich das Tarifkartell unter die Lupe nimmt, schrittmachend sein. Man sollte Firmen und Betriebsräten in Berlin selbst überlassen, wie lange sie arbeiten und was sie zahlen wollen. Wenn wir diesen komparativen Vorteil in Berlin hätten, hätten wir auch wesentlich mehr Investitionen.

Wo wurden gravierende Fehler gemacht?

Ich war eineinhalb Jahre Aufsichtsratschef der Berlin-Brandenburg-Flughafen-Holding und habe 1996 die Entscheidung für einen Großflughafen Schönefeld herbeigeführt. Das war überhaupt nicht einfach. Und was hat die Politik mit der Entscheidung gemacht? Nichts. Wir sind heute kaum weiter als damals. Und das können Sie nicht der Geschäftsleitung ankreiden. Die hat einen prima Job gemacht.

Wer hat dann Schuld?

Der Berliner Senat. Dieser muss klar und deutlich verkünden, dass die beiden anderen Flughäfen geschlossen werden, damit auch die Fluggesellschaften wissen, woran sie sind. Denn wenn Berlin eine Drehscheibe werden will, dann muss man auch dafür sorgen, dass man von einem Flugzeug ins andere umsteigen kann. Haben wir aber weiterhin drei Flughäfen, dann wird keine Fluggesellschaft Berlin ernsthaft als Drehscheibe in Erwägung ziehen.

Wie lukrativ wird der Verkauf?

Der Senat hat Glück, wenn er für den Flughafen einen Euro bekommt, denn es gibt unglaublich viel zu investieren und zu entschulden.

Wie soll der Großflughafen dann finanziert werden?

Man kann Tempelhof verkaufen, um daraus z. B. ein riesiges Erholungs- und Messegebiet zu machen. Tegel sollte ebenso verkauft werden. Die Erlöse, die dem Bund und Berlin zustehen, sollten in die Finanzierung von Berlin/Schönefeld eingespeist werden.

Wie beurteilen Sie die Arbeit des Wirtschaftssenators Gregor Gysi?

Er hat auch keine schlechtere Wirtschaftspolitik gemacht als sein Vorgänger. Er hatte einen gewissen Unterhaltungswert. Und dem Tourismus hat er nicht geschadet. Denn wer würde es sich schon entgehen lassen, in einer Welthauptstadt einen Kommunisten als Wirtschaftssenator vorzufinden? Das ist doch ein echter Gag. Solche finden sie heute doch nur noch in Havanna und in Pjöngjang.

Was würden Sie als Wirtschaftssenator machen?

Erst einmal würde ich das Amt mit Sicherheit nicht annehmen. Und wenn, dann nur unter der Bedingung neuer Koalitionsverhandlungen, in denen meine Vorschläge für ein dynamisches Berlin umgesetzt werden. Denn wenn diese nicht schnell angepackt werden, sehe ich für Berlin genauso schwarz wie Zimmermann.