Berlin - Die EU-Kommission und das Bundeskartellamt wollen mit Rekordbußgeldern und Prüfverfahren gegen Preis- und Mengenabsprachen in der europäischen Zementbranche vorgehen. Das Bonner Kartellamt plant, Bußgelder in Milliarden-Höhe gegen mehr als 20 deutsche Unternehmen zu verhängen. Gleichzeitig will die Wettbewerbsdirektion von EU-Kommissar Mario Monti nach Informationen dieser Zeitung die Ergebnisse der Deutschen als Grundlage für weitere Ermittlungen nutzen: «Wir werden die Fakten prüfen und falls nötig tiefergehende Verfahren auf europäischer Ebene durchführen», heißt es in Brüssel.
Auslöser des neuen Kartellverfahrens sind Durchsuchungen des Kartellamtes im Juli bei 30 Unternehmen, darunter Dyckerhoff, Readymix und Heidelberg-Cement. Die Ermittler haben damals offenbar Listen gefunden, die Jahrzehnte lange Absprachen über Preise, Produktionsmengen und Absatzgebiete in ganz Deutschland belegen sollen.
Der zuständige Beschlussabteilungsleiter des Bundeskartellamtes, Andreas Knochenhauer, bestätigte der «Frankfurter Allgemeine», dass eine Reihe von Unternehmen schon in Kürze mit hohen Bußgeldern rechnen müssen. Im Einzelfall sollen sich die Strafen in dreistelliger Millionen-Höhe bewegen und insgesamt auf jeden Fall die Eine-Milliarde-Euro-Marke erreichen, so Knochenbauer. Auch andere Unternehmen der Baustoffindustrie hätten sich beteiligt. Er habe den Eindruck, einige Unternehmen wollen nun «reinen Tisch» machen. So habe seinen Informationen nach der Vorstandsvorsitzende der Ratinger Readymix, Stephan Brock, entsprechende Maßnahmen gegenüber seinen Mitarbeitern angekündigt. Readymix ist die Deutschland-Tochter des britischen RMC-Konzerns, die Werke in Rüdersdorf bei Berlin und in Eisenhüttenstadt betreibt. Bereits Ende März äußerte sich Brock diesbezüglich: «Ich will nicht ausschließen, dass die beiden aufgedeckten Fälle bei Readymix nicht die einzigen waren.» Im Frühjahr hatte das Kartellamt bereits ein Bußgeld wegen Absprachen in Ostdeutschland gegen die RMC-Tochter verhängt.
In der Branche geht man nun davon aus, dass Readymix dem Kartellamt Unterlagen über Absprachen im gesamten Bundesgebiet übergeben hat, um als Gegenleistung die Kronzeugen-Regelung des Kartellamtes in Anspruch nehmen zu können. In diesem Zusammenhang wird auch über den überraschenden Rücktritt des Vorstandsvorsitzenden der Dyckerhoff AG, Peter Rohde, am vorigen Dienstag spekuliert. «Der Ergebnisrückgang ist nicht der einzige Grund, warum Rohde gehen musste», so ein vom Kartellverfahren betroffener Unternehmenschef.