Wundermittel in der Merck-Bilanz

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Martin Halusa

Die Bilanz des US-Pharmariesen Merck soll durch Luftbuchungen über 12,4 Mrd. Dollar geschönt worden sein. Zuzahlungen für Apothekenrezepte bei der Tochter Medco wurden in den letzten drei Jahren als Umsätze bei der Konzernmutter gebucht.

New York - Die Aktie des amerikanischen Pharmariesen Merck&Co. ist weltweit auf Talfahrt gegangen. Ursache für den Rückgang ist ein Bericht des «Wall Street Journal», wonach Merck Umsätze in Höhe von 12,4 Mrd. Dollar verbucht habe, die in Wirklichkeit gar nicht angefallen seien. Mit Merck ist damit - nach Enron, Worldcom und Global Crossing - ein weiteres Großunternehmen in den USA in den Verdacht von Finanzmanipulationen geraten. In Europa verloren die Aktien des fünftgrößten Pharmakonzerns der Welt teilweise mehr als zehn, in den USA in den ersten Handelsminuten bereits mehr als fünf Prozent. Am heutigen Dienstag will US-Präsident GeorgeW. Bush eine Grundsatzrede über die Häufung von Bilanzmanipulationen bei großen US-Konzernen halten.

Über die zu hoch angegebenen Umsätze bei Merck war schon seit Monaten spekuliert worden: Bereits im April war von möglicherweise überhöhter Darstellung die Rede. Wie nun bekannt wurde, soll Merck in den vergangenen drei Jahren Umsätze seiner Tochter Medco verbucht haben, obwohl diese Gelder Merck nicht zugeflossen seien. Medco managt Apothekenprogramme für Angestellte und Krankenversicherungen. Die Zuzahlungen, um die es jetzt geht, stellen zehn Prozent des Gesamtumsatzes von Merck dar.

Ursprünglich wollte Merck 20 Prozent seiner Tochter Medco an die Börse bringen. Doch die Emission musste mehrmals verschoben werden, vor allem wegen der Buchungen, über die Merck die Börsenaufsicht im April unterrichtet habe. Wie der Pharmariese betont, entspricht die Verrechnung den «allgemein anerkannten Bilanzierungsregeln» (US-GAAP). Bislang gibt es auch von der SEC keinerlei Beanstandung an der Vorgehensweise Mercks.

Bilanzexperten kritisieren hingegen, dass die Verrechnung der Zuzahlungen nicht darstelle, was tatsächlich vonstatten gehe. «Wenn die SEC dies erlaubt, sind Investoren in Schwierigkeiten. Unser Bilanzierungssystem muss dann verbessert werden», sagt die Finanzprofessorin Lynn Turner, die früher als Wirtschaftsprüfer bei der Börsenaufsicht SEC arbeitete.

Medco meldete im vergangenen Jahr einen Umsatz von 29,69 Mrd. Dollar, dies waren 59 Prozent des Gesamtumsatzes von Merck in Höhe von 50,69 Mrd. Dollar. 5,5 Mrd. Dollar des Medco-Umsatzes bestanden aus Zuzahlungen - meist zehn bis 15 Prozent pro Rezept - , die tatsächlich jedoch in der Kasse der Apotheken blieben. Auch in den Vorjahren seien die Zuzahlungen entsprechend verbucht worden: Allein in den Jahren 1999 bis 2001 kommen so 12,4 Mrd. Dollar zusammen. Bislang ist nicht bekannt, wie hoch die Zuzahlungen in den Jahren davor gewesen sind. Merck hatte Medco 1993 gekauft.

Die nun bekannt gewordenen Details dürften auch eine Sammelklage bestärken, die Aktionäre Mercks in der vergangenen Woche eingereicht hatten. Die Klage wirft der Firma vor, die Vorschriften zur Rechnungslegung missachtet und deshalb den Aktienkurs künstlich aufgebläht zu haben. Die Investoren sagen sogar, dass Merck seit 1993 die Regeln missachtet habe. Der in Newark (New Jersey) eingereichten Klage können sich alle Aktionäre anschließen, die zwischen Juli 1999 und Juni 2002 Merck-Aktien gekauft haben.

Die jüngst zu Tage getretenen Bilanzmanipulationen und Fehlbuchungen bei US-Unternehmen haben nach Ansicht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) Schwächen im Prozess der Aufbereitung von Finanzinformationen für die Anleger deutlich gemacht. Durch die Vorgänge um Firmen wie Enron, Xerox, Tyco und Worldcom würden die Investoren abgeschreckt, die Marktpreise würden verzerrt und es könnte zu einer Fehlallokation von Kapital kommen, so die BIZ.