«Räumungsverkauf - alles muss raus!» - dieses Plakat könnte bald an den Türen des Neuen Marktes in Frankfurt hängen. Täglich werden neue Tiefststände erreicht, alles dreht sich scheinbar nur noch um eine Frage: «Wie hoch fällt heute das Minus aus?»
Berlin - Auf die Frage nach der Höhe des Absturzes lautete am Mittwoch die Antwort für den Nemax-50-Index: «bis zu 8,78 Prozent!». Bei 508,72 Punkten erreichte der Auswahlindex der Wachstumstitel um 12.30 Uhr ein neues Allzeit-Tief. Auch die US-Börse Nasdaq testet derzeit ein Fünf-Jahres-Tief von 1997.
Unter den Investoren herrscht Grabesstimmung. «Die Anleger haben jegliches Vertrauen verloren», sagt Florian Weber vom Börsenmakler Schnigge. Angesichts der Nachrichten, die täglich auf die Börsianer hereinprasseln, wundert das wenig. So senkte das niederländische Biotechunternehmen Qiagen - Schwergewicht am Neuen Markt und Hoffnungsträger in finsteren Zeiten - seine Umsatz- und Gewinnprognose für 2002 um 13 beziehungsweise 33 Prozent. Die Aktie stürzte um rund 40 Prozent in den Keller und riss alles mit sich, was noch ein paar Cent wert ist.
Der Chiphändler CE Consumer zog nach. Konzernchef Erich Lejeune informierte über Wertberichtigungen und kündigte Verluste in zweistelliger Millionenhöhe an. Kursverlust: bis zu 30 Prozent. CE Consumer erwägt nun den Rückzug vom Neuen Markt. Als würde er schon nicht mehr dazugehören, sagte Lejeune: «Wenn das mit den schlechten Nachrichten am Neuen Markt nicht aufhört, werden wir uns das gut überlegen.»
Die Wachstumsmärkte sind am Scheideweg. Ist nun endlich ein Boden erreicht oder driften High- und Biotech endgültig in die Bedeutungslosigkeit ab? Beim Nemax-50 gibt es rein rechnerisch noch Potenzial für weitere Kursstürze. Im Durchschnitt liegt der Buchwert je Aktie der einzelnen Unternehmen bei knapp 400 Euro. Bei einem Indexstand von 500 Punkten wären also noch gut 100 Minuspunkte möglich.
«Diese Zahl halte ich für durchaus realistisch», sagt ein Fondsmanager. Denn die Neue-Markt-Firmen haben ihren Wachstums-Bonus verloren. Die früher bei Hoffnungswerten übliche Orientierung an der Prognose des Kurs-Gewinn-Verhältnisses oder am Umsatzzuwachs zählt nicht mehr. Wie bei Standardwerten interessiert nur noch die Substanz. Was haben die Firmen im Besitz, was ist abgeschrieben, wie hoch sind die Schulden? - das sind die Fragen, die die Nemax-Investoren beschäftigen - wenn überhaupt. «Die Anleger sind doch mittlerweile der Meinung, dass die Unternehmen gar keinen Buchwert mehr haben», stellt Schnigge-Chefhändler Weber fest.
Auch an der US-Technologiebörse Nasdaq ist nicht alles ausgestanden. Die Bezeichnung «Wachstumswert» sorgt auch hier eher für Grausen als für reges Interesse. Uwe Sander, Manager des US-Fonds Warburg Amerak, sieht zwar die nächste Unterstützungslinie bei 1200 Punkten. «Von einer sicheren Bodenbildung ist aber noch nichts zu sehen. Solange die Gewinnschätzungen nicht wieder angehoben werden, sind die Leute auch nicht dazu bereit, für eine unsichere Zukunft Geld zu investieren.» Eine grundsätzliche Wende setze erst ein, wenn die Ausrüstungsinvestitionen wieder zunähmen.
Immerhin zeigten sich die Börsianer an der Nasdaq gestern weniger panisch als in Europa. «Wenn man immer wieder geschlagen wird, spürt man irgendwann den Schmerz nicht mehr», sagte ein New Yorker Händler.