Berlin - Zur Halbzeit an der Börse liegen die Bullen hinter den Bären nahezu hoffnungslos zurück. Seit Jahresanfang bestimmen die Börsenpessimisten klar die Partie. Ergebnis: Der Dax verlor seit Januar fast 17 Prozent. Das ist das schwächste Halbjahr seit Bestehen des deutschen Kursbarometers. Insgesamt wurden fast 700 Mrd. Euro an Marktkapitalisierung vernichtet.
Trotz des Spiel-Desasters in der ersten Hälfte haben die Bullen noch immer die größere Fangemeinde. Die meisten Experten setzen fest auf eine Aufholjagd in der zweiten Halbzeit. Und nicht nur das: Die Bankstrategen rechnen sogar damit, dass in den kommenden sechs Monaten die gesamte Partie noch umgedreht werden kann. Sprich: Der Dax am 31.Dezember sogar höher als zum Jahresanfang steht. Im Schnitt erwarten die Profis in sechs Monaten 5215 Zähler. Um dies zu erreichen, muss das deutsche Kursbarometer von heute an über 900 Punkte oder umgerechnet 21 Prozent nach vorne stürmen. Hält sich der Dax an das Drehbuch der Strategen, würde unter dem Strich immerhin ein klitzekleines Jahresplus von einem Prozent herauskommen.
Doch einige Experten zweifeln mittlerweile daran, dass Kampfesstärke der Bullen ausreicht, die Bären derart an die Wand zu spielen. Die meisten Experten mussten mit ihren optimistischen Prognosen kräftig zurückrudern. Den Vogel schoss Volker Borghoff, Stratege bei HSBC Trinkaus ab. Er ließ sämtliche Hoffnungen fahren und nahm seine Erwartungen gleich um 30 Prozent zurück. Er rechnet nun mit einem Dax-Jahresendstand von 4000 Punkten - und erwartet damit auch für die zweite Halbzeit einen Sieg der Bären. «Die Fundamentaldaten haben sich deutlich verschlechtert», sagt Borghoff. Der Dollareinbruch trübe die Gewinn-Aussichten für die exportlastigen Dax-Unternehmen erheblich ein. Insgesamt seien die Ergebnisschätzungen noch viel zu hoch. «Wir haben kein Bewertungspotenzial mehr, dafür aber jede Menge neue Risiken», meint Borghoff.
Sorge bereitet vielen Strategen vor allem die grassierenden Bilanzmanipulationen. Die Fälschungen bei Enron und Worldcom sowie die milliardenschweren Fehlbuchungen beim Kopiererhersteller Xerox haben bei Anlegern zu schwerwiegendem Vertrauensverlust in die Institutionen des Kapitalmarktes geführt. «Das könnte eine Kaufzurückhaltung der Konsumenten auslösen und damit den Konjunkturaufschwung gefährden», sagt Andreas Hürkamp, Stratege bei WestLB Panmure. Insgesamt sei es nicht auszuschließen, dass die schwachen Börsen die Konjunktur in die Tiefe ziehen.
Davon wollen die Bullen-Fans nichts hören. «Die Konjunktur zieht weiter an. Eine schwache Börse kann daran nichts ändern», sagt Gertrud Traud von der Bankgesellschaft Berlin. Die besseren Aussichten seien noch längst nicht in den Kursen enthalten, begründet sie ihr Dax-Ziel von 6100 Punkten. «In der zweiten Halbzeit wird kräftig aufgeholt. Sollte das Spiel der Bullen erst einmal richtig laufen, kann es ganz schnell gen 6000 Punkte gehen.»