Kein Aufschwung durch WM 2006

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Deutschland ist der nächste Ausrichter der Fußball-Weltmeisterschaft, in genau vier Jahren ist es so weit. Wirtschaftsforscher und Industrieverbände sind sich einig: Trotz der milliardenschweren Infrastrukturmaßnahmen führt eine WM allein noch nicht zum konjunkturellen Aufschwung.

Berlin - Die Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland wird nach Meinung von Verbänden und Unternehmern nur geringe wirtschaftliche Impulse freisetzen. «Das wird ein schönes Fest», bewertete Professor Gert Wagner, Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, den Titelkampf der Kicker in vier Jahren. Doch nennenswerte Auswirkungen auf die deutsche Volkswirtschaft kann er nicht erkennen. «Aus wirtschaftlicher Sicht besteht kein Grund, Großereignisse ins Land zu holen», erklärte der Ökonom weiter. Sicherlich könne der Konsum kurzeitig angeheizt werden, doch: «Jeder Euro kann nur ein Mal ausgegeben werden.» Nach der Weltmeisterschaft werde dann wieder gespart.

Allenfalls punktuell, in den Städten, in denen Spiele ausgetragen und dafür Stadien gebaut oder modernisiert werden müssten, könnte die Weltmeisterschaft ein gutes Geschäft sein. Beim Stadienbau hänge viel von der Finanzierungsfrage ab. Wird das Geld für den Bau durch Land oder Bund aufgebracht und an anderer Stelle im Etat eingespart, ist auch hier der wirtschaftliche Effekt gleich null.

Ein Fragezeichen setzt Wagner auch hinter den erwarteten Strom der Fans aus dem Ausland, die im WM-Deutschland ihr Geld lassen sollen. Dies hänge doch stark von den Fußballnationen ab, die den Weg zur Weltmeisterschaft fänden. Wenn Holland und Belgien mitspielten und diese Spiele dann in Stadien im Ruhrgebiet stattfänden, könne diese Rechnung wohl aufgehen. Wenn drei afrikanische Mannschaften mitspielen, sieht die Rechnung schon schlechter aus. «Die werden wohl kaum viele Fans mitbringen», vermutet der Wirtschaftsprofessor.

Auch die Bauwirtschaft rechnet nur mit geringen Impulsen durch die WM 2006. Die meisten Projekte seien bereits angestoßen oder schon abgeschlossen, «und die wirtschaftliche Lage hat sich dadurch erkennbar nicht verbessert», sagte Heiko Stiepelmann vom Bau-Hauptverband. Das Bauvolumen aller Neu- und Umbauten von Stadien betrage rund 1,5 Mrd. Euro. Der Wirtschaftsbau, also ohne Wohnungsbau und öffentliche Bauten, mache hingegen allein 35 Mrd. Euro im Jahr aus. «Das ist kein Sonderprogramm, das die Lage am Bau insgesamt verbessern würde», sagte Stiepelmann, aber: «Für einzelne Baukonzerne sind die Projekte von großer Bedeutung.»

Zu den Konzernen zählen Walter Bau mit dem Olympiastadion Berlin (Volumen: 240 Mio. Euro), Holzmann - trotz Insolvenz - in Leipzig und Hochtief in Mönchengladbach. Weil gleichzeitig die regionale Infrastruktur ausgebaut wird und das eine oder andere Hotel in Nähe eines Stadions entsteht, profitieren weitere Baufirmen bis hin zu kleinen Handwerksbetrieben.

Noch skeptischer zeigt sich die deutsche Reisebranche. Für sie sind Fußballweltmeisterschaften eigentlich immer «schlecht fürs Geschäft», sagt der Sprecher des deutschen Reisebüro- und Reiseveranstalterverbandes (DRV), Christian Boergen. «Die Leute bleiben zu Hause und kaufen sich einen neuen Fernseher», dann bleibe für die Urlaubsreise nicht mehr viel Geld über. Für die WM 2006 sieht Boergen allerdings nicht ganz so schwarz, da viele ausländische Fußballfans für mehrere Tage nach Deutschland reisen werden.

Die einzige Branche, die schon jetzt jubelt, ist die Gastronomie. «Da freuen wir uns schon alle drauf», sagte der Pressesprecher des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga), Marc Schnerr. Die Wirte und Hoteliers rechnen mit einem kräftigen WM-Umsatzschub. Die Deutsche Tourismuszentrale rechnet mit einer Million ausländischer Besucher zur WM 2006. Im Schnitt soll jeder Besucher zehn Tage bleiben und 1836 Euro ausgeben.

Die Hoffnung ruht dabei nicht nur auf den Fans, die zur WM kommen - und in deutschen Hotelbetten übernachten sollen. Die Branche rechnet auch mit deutschen Fans, die «Fußball als Gruppenerlebnis in der Gastronomie» genießen wollen und nicht zu Hause vor dem heimischen Fernseher. Ohne WM, so Schnerr, würden diese wohl ihr Geld woanders ausgeben. Die Hoteliers und Gastronomen hoffen zudem auf positive Nachwirkungen der WM. Schließlich berichten 20 000 Journalisten über das Ereignis. Dadurch würden noch mehr Touristen nach Deutschland gelockt, schätzt der Dehoga. svb/eag./AvG/fs