Janice Jakait ist die erste Deutsche, die es geschafft hat, den Atlantik allein in einem Ruderboot zu überqueren
Zwischen der portugiesischen Hafenstadt Portimao und der karibischen Insel Barbados liegen 3600 Seemeilen. Für Segler eine Distanz, die sich je nach Bootstyp in zwei bis vier Wochen überwinden lässt. Aber mit einem Ruderboot? Janice Jakait, die sich 2012 auf das Abenteuer Altantiküberquerung unter Rudern eingelassen hat, brauchte 90 Tage. Drei Monate, in denen sie überwiegend auf der Ruderbank saß, um mit Muskelkraft ihr Boot voranzutreiben. Sich von gefriergetrockneter Fertignahrung und Unmengen von Müsli- und Schokoriegeln ernährte. Und viel über sich und die Ziele ihres Lebens lernte. Über ihre Zeit auf See hat sie ein Buch geschrieben. „Tosende Stille“ lautet der verwirrend gegensätzliche Titel des Buches, in dem die Autorin nicht nur von ihrer Abenteuerfahrt auf der „Bifröst“ berichtet, sondern auch auf das drängende Umweltproblem des Unterwasserlärms aufmerksam macht.
Doch was treibt eine Frau an, die gesicherte bürgerliche Existenz als IT-Beraterin aufs Spiel zu setzen, um alle Arbeitskraft und finanziellen Mittel in ein Projekt zu stecken, dass die meisten kopfschüttelnd nur als „Wahnsinn“ bezeichnen? Worin liegt der Reiz, monatelang auf einem speziell ausgestatteten Ruderboot alleine über den Atlantik zu fahren, abgeschnitten von der Zivilisation, nur begleitet von fliegenden Fischen, Walen und am Horizont schwach erkennbaren Containerschiffen?
Sehnsucht nach Wasser
„Eine große Sehnsucht nach Wasser begleitet mich schon mein Leben lang, obwohl ich als Kind im Erzgebirge ziemlich wasserarm groß geworden bin“, versucht Janice Jakait, 37, ihre Motivation zu erklären. „Außerdem war ich an einem Wendepunkt meines Lebens, musste auf die Suche nach meinem Ich gehen. Das ging in dieser Kombination aus psychischer und physischer Anspannung alleine an Bord deutlich besser als in einem Zen-Kloster.“
Die Idee zu dieser abenteuerlichen Reise kam ihr, als sie die Geschichte der Französin Maud Fontenoy las, die vor über zehn Jahren alleine auf einem Ruderboot den Atlantik von West nach Ost überquert hatte und nach furchtbaren Strapazen, einem schweren Orkan und zahlreichen Kenterungen verletzt, aber ohne fremde Hilfe, das europäische Festland erreichte. Seitdem ließ sie der Gedanke an diese extreme Form der Transatlantikpassage nicht mehr los. Die Vorbereitung zu dieser anstrengenden Reise: neben absoluter physischer und mentaler Fitness vor allem ein hohes Maß an technischem Geschick und Verständnis für die Zusammenhänge an Bord. „Ich habe nur den Rumpf des Schiffes gekauft, alles andere selbst konzipiert und ausgebaut“, erzählt Janice Jakait. „So war ich in der Lage, auch auf See alles alleine zu reparieren.“
Das speziell für die Atlantiküberquerung von ihr modifizierte, rund 1000 Kilogramm schwere Gefährt ist mit einem herkömmlichen Ruderboot kaum zu vergleichen. Es ist eine Spezialanfertigung aus Glas- und Kohlefaserverbundstoffen, knapp sieben Meter lang, zwei Meter breit und mit einem Leergewicht von 275 Kilogramm. Neben der Rudervorrichtung für die Skulls hat es zwei sehr kleine Kabinen für die technische Ausstattung, Nahrung und die Koje der Ruderin. „Das Gesamtgewicht meiner Bifröst betrug rund eine Tonne“, sagt Janice Jakait. „Bei ruhiger See schafft man auf solch einem Boot rund zwei Seemeilen pro Stunde, also eine Distanz von dreieinhalb Kilometern.“ Um die Gefahr einer Kenterung zu minimieren ist das Boot so konzipiert, dass es mit Hilfe der Ballasttanks im Kiel, die zugleich mit einer Notration Süßwasser gefüllt waren, durchkentert, sich also um 360 Grad zurück auf die Wasseroberfläche dreht. Über Solarpanels mit insgesamt 210 Watt generierte Janice Jakait während der dreimonatigen Fahrt Strom für die Meerwasserentsalzungsanlage, das Kommunikationsequipment, den aktiven Radar-Reflektor, das AIS und den GPS-Tracker und Plotter. Schwimmweste, Überlebensanzug und eine Rettungsinsel komplettierten ihre Sicherheitsausstattung.
Doch auch wenn die Planung der Reise noch so sorgfältig war: Der Beginn ihrer Abenteuerfahrt war alles andere als ermutigend. „Ich wurde von Seekrankheit geschüttelt, wollte mich nur noch in meiner Koje zusammenrollen“ erzählt Jakait. „Doch dann habe ich mich an die Worte eines Seglerfreundes geklammert, der meinte, man gewöhnt sich an das Geschwabbel, und dann wachsen einem Seebeine.“ Sie versuchte sich mit Musik abzulenken und in Stimmung zu bringen, doch durch eine fehlerhafte Bedienung ihres iPods erreichte sie nur, dass alle sorgfältig zusammengestellten Musiklisten gelöscht wurden. Der Slogan ihrer Reise „Row for Silence“ (Rudern für Stille unter Wasser) wurde so unfreiwillig auch zum Motto ihrer Altantiküberquerung.
Besonders frustrierend fand sie bei ihrer langen Reise die Abdrift, der sie und ihr Boot immer wieder unterworfen waren, wenn sie am Ruder pausierte. „Nach einer kurzen Schlafpause an Deck zu kommen, um dann festzustellen, dass das Boot in meiner Ruderpause wieder meilenweit zurückgetrieben ist und die ganze Anstrengung Stunden vorher vergebens war, ist schon sehr frustrierend“, sagt sie. Ganz ähnlich wie Einhand-Segler, die sich auch immer nur kurze Schlafpausen gönnen dürfen, damit sie regelmäßig Ausschau halten und das Boot kontrollieren können, waren für die Ruderin auf ihrer Reise auch nie mehr als durchgehend zwei Stunden Schlaf möglich. Neben der drohenden Abdrift hielt sie vor allem Ausschau nach ins Wasser gefallenen Containern, die für sie ein erhebliches Kollisionsrisiko bargen und natürlich Frachtern, deren Kapitäne selten darauf vorbereitet sind, mitten auf dem Atlantik einem Ruderboot ausweichen zu müssen.
Nach drei Monaten völliger Einsamkeit auf See war der bescheidene Menschenrummel, der sie im Hafen von St. Charles erwartete, schon fast zu viel für sie. Dabei waren ihre ersten Gelüste, nachdem sie wieder Land unter den Füßen hatte, durchaus weltlicher Natur: Zigaretten, Cola und ein Cheeseburger in der Hafenbar standen ganz oben auf ihrer Wunschliste.
Über den Pazifik segeln
Zurück in Deutschland brauchte sie zwei Jahre, um ihr Buch über ihre Atlantiküberquerung fertig zu stellen und sich auf ihr neues Leben einzulassen – ein Leben, in dem sie nun weniger konsumorientiert lebt als früher. „Ich denke nicht mehr über die Vergangenheit nach und mache mir auch keine Zukunftssorgen, ich lebe nur im Hier und Jetzt“, sagt sie. „Außerdem werde ich bald wieder auf See gehe. Erst werde ich mit einem sehr kleinen Segelboot den Pazifik überqueren und danach mit einem Kite über den Indischen Ozean fahren.“ Bei der Auswahl des Segelbootes für ihre Pazifiküberquerung hat sie sich noch nicht festgelegt, doch es soll kein herkömmliches Boot sein, sondern eine Konstruktion, die ihrem Projekt einen einzigartigen Charakter gibt.
Dass sie so gut wie gar nicht segeln kann, stört sie bei der Planung nicht. „Ich habe wirklich so gut wie keine praktische Segelerfahrung und bisher nur den theoretischen Teil der wichtigen Segelscheine bestanden“, gibt sie zu. „Doch ich vertraue darauf, dass ich mir das alles beibringen kann, wenn ich an Bord bin.“ Dabei lässt sie sich von dem Briten Shane Acton inspirieren, der in den 70er-Jahren zum Helden einer Seglergeneration wurde, nachdem er mit seinem nur rund 5,60 Meter langen Boot „Shrimpy“ jahrelang überwiegend allein um die Welt segelte. Wie auch Janice Jakait hatte der junge Shane Acton bis zum Kauf der kleinen Yacht für knappe 400 britische Pfund keinerlei Segelerfahrung und in seiner Ausbildungszeit bei der Marine nur Motorbootfahren gelernt. „Ich bin nicht lebensmüde, sondern überzeugt davon, dass ich die Handhabung eines Segelbootes direkt an Bord erlernen kann“, sagt Janice Jakait selbstbewusst. „Ich komme aus der Elektronikbranche und kann so ziemlich alles an Bord reparieren, acht Meter hohe Wellen schocken mich nicht mehr, und ich habe die 90 Tage alleine auf meinem Ruderboot vermutlich mehr gelernt als so mancher professioneller Offshore-Segler.“ „
Im nächsten Jahr will sie mit dem kleinen Segelboot von San Francisco nach Australien aufbrechen. Bis dahin gilt es, die Kampagne sorgfältig zu planen und vorzubereiten – und parallel die vielen Anfragen nach Lesungen aus ihrem Buch, die sie jeden Tag erhält, positiv zu beantworten. „Ich freue mich über das große Interesse an meinem Abenteuer“, sagt sie. „Neben meiner eigenen Geschichte möchte ich aber vor allem auf die Gefahren des Unterwasserlärms aufmerksam machen, der die großen Meeressäuger massiv bedroht.“
Das Buch zur Reise: „Tosende Stille" – Eine Frau rudert über den Atlantik. 240 Seiten, Scorpio Verlag. ISBN 978-3-943416-56-5, 19,99 Euro.