Ben Stiller inszeniert sich selbst als heroischen Tagträumer: „Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“

Es ist eine schwere Entscheidung, die der kleine Angestellte Walter Mitty zu treffen hat: Soll er es wagen? Ist es zu verantworten? Welche Konsequenzen könnten sich ergeben? Für andere mag es nur ein leichtfertiger Klick auf den Zwinker-Button eines Kontakt-Portals sein, für ihn ist schon diese unverbindliche Kontaktaufnahme zur sympathischen Arbeitskollegin Cheryl eine große Sache.

Als er später auf dem Weg zur Arbeit vom Freilichtbahnhof herab sieht, dass ihr dreibeiniger Hund in einem brennende Haus in Not geraten ist, reagiert er sehr viel kurz entschlossener, stürzt sich unerschrocken in die Flammen, sprintet durch das explodierende Gebäude und übergibt ihr das wohlbehaltene Hündchen. Gar keine große Sache – aber leider nur ein Traum, aus dem Walter unsanft in die Realität entlassen wird, in der ihm gerade der Zug vor der Nase weggefahren ist.

Seit James Thurber 1939 seine Kurzgeschichte „The Secret Life of Walter Mitty“ im „New Yorker“ veröffentlicht hat, ist Walter Mitty im amerikanischen Sprachraum zum stehenden Begriff für einen Tagträumer geworden, der sich aus dem öden Alltag in Visionen von Heldentaten flüchtet. Das Kino ist natürlich prädestiniert für solch nahtlosen Übergänge zwischen Traum und Wirklichkeit. So wurde Thurbers Text auch bereits 1947 verfilmt, mit Danny Kaye in der Titelrolle, weshalb damals auch mehrere Musical- und Slapstickszenen eingebaut wurden.

Schon eine gefühlte Ewigkeit kursierte in Hollywood die Idee für ein Update dieser Geschichte. Im Gespräch waren innerhalb von zwei Jahrzehnten unter anderen Steven Spielberg und Ron Howard als Regisseure und Jim Carrey, Owen Wilson, Mike Myers und Sacha Baron Cohen als Darsteller.

Nun hat sich Ben Stiller der Geschichte angenommen, als Regisseur und Hauptdarsteller, und da auch er sich langsam auf die magische 50 zubewegt, darf man das durchaus als Versuch werten, ein wenig seriöser und erwachsener zu werden. Im Vergleich zu den überdrehten Albereien von „Cable Guy“ oder „Zoolander“ agiert Stiller hier mit angenehmem Understatement.

In der autobiografisch gefärbten Geschichte von Thurber waren die Wirklichkeit und die Phantasie in Walters Kopf noch klar getrennt. Heute, in einer Zeit, in der die digitalen Täuschungs- und Manipulationsmöglichkeiten die Wahrnehmung viel unzuverlässiger gemacht haben, bekommt Mitty eine Aufgabe, die ihn auch in der Realität aus seinem langweiligen Leben hinauskatapultiert.

Als Fotoarchivar beim New Yorker „Life Magazine“ fristet er im Kellerlabor einen ausgesprochen unglamourösen Alltag. Passend zur Krise des Printjournalismus soll die letzte Druckausgabe vor der Umwandlung in ein digitales Magazin erscheinen. Zwar gibt es das echte „Life Magazine“ schon seit 13 Jahren nicht mehr, (selbst die Website life.com wurde 2012 eingestellt), doch der Film schmückt sich mit dem Glanz der Fotoreportagen des legendären Magazins, und auch der Symbolwert seines Mottos „Das Leben sehen, die Welt sehen, Augenzeuge großer Ereignisse sein,“ fügt sich gut in eine Geschichte über die Realität des Traums.

Als Titelbild dieser fiktiven letzten Ausgabe schickt Starfotograf Sean O’Connel (Sean Penn) ein Foto, das die Quintessenz des Lebens darstellen soll, doch ausgerechnet dieses Bild fehlt auf dem Kontaktbogen. Während ihm Adam Scott als arroganter Gesundschrumpfer mit drohender Entlassung im Nacken sitzt, begibt sich Mitty auf eine ebenso verzweifelte wie befreiende Expedition nach Grönland, Island und auf den Himalaya, wo er auf den Spuren des Fotografen aus Hubschraubern springt, Vulkanausbrüchen knapp entkommt, mit Haien schwimmt und vereiste Bergkämme erklimmt.

Mit den Schauplätzen wechselt auch der Film wie ein Chamäleon seine Tonart, mal ist er eine romantische Liebesgeschichte, mal ein knallige Superhelden-Parodie, dann wieder ein aberwitziges Action-Abenteuer. Ganz nebenbei ist „Mitty“ auch eine Hymne an die analogen Werte der Fotografie und an Menschen, die noch Hand anlegen, um sich der hektischen Achtlosigkeit des modernen Lebens entgegenzustellen.

Tragikomödie: USA 2013, 115 min., von Ben Stiller, mit Ben Stiller, Kristen Wiig, Sean Penn, Shirley MacLaine

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