"Hört auf, sie zu sehen, wie sie nicht waren." Mit diesen Worten schließt "Der Baader Meinhof Komplex". Dieser letzte Satz, noch dazu gesagt von einer der Täterinnen, Ulrike Mohnhaupt, gerichtet an die zweite Generation der RAF-Terroristen, macht ein für alle Mal Schluss mit der Legende von den Morden an den Stammheim-Insassen, die der RAF zumindest gewisse Sympathien einbrachte. Der Satz ist aber auch zu verstehen als ein dramaturgisch-ästhetisches Prinzip, dem sich der Film verschrieben hat. Schon im Vorfeld war oft zu lesen, Bernd Eichingers Prestigeproduktion zerstöre den RAF-Mythos. Tut er das wirklich?
Wir sehen, wie es der Journalistin Ulrike Meinhof (Martina Gedeck) in den Fingern juckt, wenn man ihr "Theoriegewichse" vorwirft, und wie sie lange aus dem Fenster schaut, bevor sie den Terroristen, die sie befreien half, hinterherspringt. Wir sehen Andreas Baader (Moritz Bleibtreu) als Maulhelden, der politisch wenig interessiert ist und auf Taten statt auf Worte drängt. Wir sehen Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek), die ihren Baader "Baby" nennt und all die christlichen Werte ihres elterlichen Pfarrerhauses wie eine einzige Befreiung über Bord wirft. Aber sehen wir mehr?
"Der Baader-Meinhof-Komplex" lässt trotz seiner zweieinhalb Stunden keine Zeit für lange Figurenentwicklungen oder psychologische Begründungen. Sein erklärtes Ziel ist es, die zehn Jahre Terror der ersten RAF-Generation und die tausend Seiten des zugrunde liegenden Buches von Stefan Aust in einen Film zu bannen. Alle früheren Filme, die sich mit der RAF auseinandersetzten, haben sich auf Einzelaspekte und objektive Perspektiven beschränkt; "Stammheim" etwa auf die Gerichtsprotokolle, "Die bleierne Zeit" auf den Blick der Ensslin-Schwester. "Baader" immerhin wagte die Provokation, seine Geschichte mit den Mitteln des Thriller-Genres zu erzählen, mit allen dramaturgischen Freiheiten. "B-M-K" versucht nicht weniger, aber auch nicht mehr, als all die Ereignisse von einst zu bündeln.
Das beginnt höchst grandios mit den Berliner Demonstrationen gegen den deutschen Schah-Besuch und den Schüssen auf Benno Ohnesorg. Besser wurde die aufgeheizte Stimmung des Jahres 1967 und die zunehmende Radikalisierung der Gesellschaft nie auf Zelluloid gebannt. Jeden Zuschauer packt da der gleiche Zorn auf den Polizeistaat und den Drang, etwas tun, etwas verändern zu müssen. Und er skizziert dann, in starken, kurzen Pinselstrichen - "Fetzendramaturgie" hat der Drehbuchautor Eichinger das selbst genannt - die Protagonisten der "Baader-Meinhof-Bande", für die die halbe erste Garde des deutschen Films gecastet wurde. Stars, deren Aura genügen muss für die wenigen Augenblicke, um sie zu skizzieren.
Dann aber prescht der Film durch das Jahrzehnt, durch die Schießereien und Sprengstoffanschläge, die Ausbildung im PLO-Camp, die Verhaftungen und Prozesse bis hin zu den noch blutigeren Anschlägen der 2. Generation, um die erste freizupressen. Da werden immer wieder Zeitungen und Archivbilder eingeblendet, die Tagesschau-Fanfare bildet fast ein akustisches Leitmotiv. Für die Entführung der "Landshut" im Deutschen Herbst 1977 bleibt dagegen kaum noch Zeit, fast scheint den Filmemachern hier der Atem (oder das Geld) ausgegangen zu sein. Immer mehr Personal tritt auf, ohne dass der Laie gleich zuordnen könnte, wer das sein könnte - zumal oft nur Vornamen genannt werden.
Die Stars als Terroristen: Sie sind oft erschreckend ähnlich. Am Mythos freilich wird durch ein solches Casting alles andere als gekratzt. Die Gegenseite, die Politik, die Richter und das Bundeskriminalamt, bleiben dagegen blass in ihren dunklen Anzügen, bis auf BKA-Chef Horst Herold, der sich auf dem Filmplakat mit auf die "Fahndungsfotos" verirrt und dem Bruno Ganz diffizile Tiefe gibt, dem dabei aber auch mal der alte Hitler rausrutscht.
Ein Geschichtskurs. Ein Lehrfilm über den frühen RAF-Terror. Der bewusst provoziert mit der überaus brutalen Nachinszenierung der Anschläge. Aber großes Kino? Eichinger steht hier, wie bei seinem letzten Großprojekt "Der Untergang", sein eigenes Konzept im Wege: absolut authentisch zu sein, alles so zu zeigen, wie es (vermutlich) war. Ohne Vereinfachungen oder Auslassungen. Auch im Hitler-Bunker standen ständig Personen herum, die nur der Experte identifizieren konnte; auch hier wurde der Zuschauer permanent überfordert.
Zur Ruhe kommt "B-M-K" erst, wenn Baader, Meinhof & Co. in Stammheim sitzen. Der Terror draußen, um sie freizupressen, wird nur noch angerissen und mit den Szenen in Stammheim konterkariert, wo sich die autoritären Strukturen der Gruppe entlarven. Hier erst kommt der Film ganz zu sich. Aber hier hat der Zuschauer auch ständige Déjà-vus aus anderen Filmen, die das ausführlicher und eindringlicher gezeigt haben, "Stammheim" eben oder Breloers "Todesspiel". Demnächst steht uns noch "Mogadischu" als großes TV-Event ins Haus.
Auch "Der Baader-Meinhof-Komplex" wird noch ins Fernsehen kommen. Regisseur Uli Edel will aber höchstens 20 Minuten mehr zeigen. Mehr habe er auch nicht gedreht. Er und Eichinger, das muss man ihnen zugute halten, ist es gelungen, den ganzen Komplex erstmals als solchen gestemmt zu haben. Wie es war: Darüber vermitteln sie einen Überblick. Wie die Terroristen wirklich waren: Das zu zeigen, bleiben sie uns schuldig.
Der Baader-Meinhof-Komplex
Deutschland 2008
149 min. Ab 12 Jahren
Regie: Uli Edel
Darsteller: Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu, Johanna Wokalek, Bruno Ganz, Nadja Uhl, Jan Josef Liefers
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