Die meisten gelungenen Animationsfilme der letzten Jahre sind auf die gleiche Weise gestrickt: Ob "Findet Nemo", "Shrek" oder "Ratatouille", sie bieten einen guten Mix aus originellen Figuren, witzigen Dialogen und optischem Spektakel, über den man sich amüsiert, den man aber erstaunlich schnell wieder vergisst. "Wall-E" ist anders, hier passiert etwas Seltsames mit dem Zuschauer. Er verguckt sich in einen Roboter. Dazu noch in einen ausgesprochen unansehnlichen Vertreter seiner Spezies.
Obwohl die Handlung ungefähr 800 Jahre von heute aus in der Zukunft angesiedelt ist, sieht die Hauptfigur, der Titel gebende Wall-E (die Abkürzung steht für "Waste Allocation Load Lifter Earth-Class", was man kurz als Müllentsorger, Erdklasse übersetzen könnte) eher einem abgewrackten Haushaltsgerät unseres frühen 21. Jahrhunderts ähnlich: Er bewegt sich wie ein Minipanzer auf Gleisketten, sein Leib besteht aus einem angerosteten, kühlschrankähnlichen Metallquader und sein Kopf gleicht einem schlichten Fernglas, seine Teleskoparme besitzen in etwa die Eleganz jener Greifhilfen, mit denen sich Senioren behelfen. Trotzdem fliegen diesem im Müll wühlenden Schrottroboter die Herzen zu.
Dabei hat Wall-E einen traurigen Job. Wie der deutsche Untertitel es ankündigt, räumt er als "Letzter" die Erde auf. Die ersten Bilder des Films zeigen unseren Planeten menschenverlassen und restlos zugemüllt. An manchen Stellen türmt sich der Unrat säuberlich in Würfeln zu Hochhäusern auf. Das ist die Wirkungsstätte von Wall-E, dessen Tagewerk darin besteht, den Schrott in seinen Leib zu füllen, ihn dort zu einem Quadrat zu pressen und in Mauerformationen abzulegen.
In der ersten halben Stunde des Films gibt es keine Erklärungen, keine Dialoge, keine Witzchen, nur diesen Wall-E und seine Alltagsverrichtungen. Und trotzdem ist man gefesselt.
Tatsächlich knüpft "Wall-E" an den Urstoff des Kinos an, an Charlie Chaplins stummen Tramp und die Erfindung der Situationskomik. Wie der Tramp ist Wall-E ein Charakter, dessen Einsamkeit seine Persönlichkeit erst hervortreten lässt. Aus dem Müll liest er Dinge heraus, die ihn interessieren, und als er nach dem Tagesgeschäft in sein Zuhause einrollt, sieht man dort die Regale voller Fundstücke "unserer" Kultur. Es finden sich Glühbirnen, Lichterketten und Ersatzteile aller Art; Wall-Es tollstes Fundstück aber ist eine VHS-Kassette des Musicals "Hello, Dolly!".
Dass es eine Kassette und keine DVD ist, dass darauf "Hello, Dolly!" und nicht "Titanic" zu sehen ist - darin zeigt sich die Intelligenz des Drehbuchs, das Pixar-Urgestein Andrew Stanton, der auch Regie führte, mitverantwortet. Die Auswahl des Altmodischen gibt Wall-E eine Individualität, die das Kommende erst interessant macht.
Denn Wall-Es beschaulich-melancholischer Alltag wird durch die Ankunft eines Raumschiffs gestört, aus dem ein Roboter anderer Art entsteigt: Eve (Extraterrestrischer Vegetations-Evaluator) ist ihr Name, und über das weibliche Geschlecht dieses Roboters bestehen genauso wenig Zweifel wie darüber, dass es sich bei Wall-E um einen Kerl handelt. Glatt und weiß und neumodisch sieht Eve aus. Kein Wunder, dass Wall-E von ihr hingerissen wie eingeschüchtert ist. Mit Chaplin'schem Charme und Tricks wirbt Wall-E um Eve. Doch wie es sich gehört, zeigt sie ihm die kalte Schulter, erst recht als er ihr ein teures Geschenk macht - die erste grüne Pflanze, die auf Erden wieder wächst
Alsbald kommen auch die Menschen ins Spiel, und leider muss man sagen: mit ihnen hört der Spaß ein bisschen auf. Eve folgend gelangt Wall-E zu jenem Raumschiff, auf dem die Menschen Zuflucht genommen haben. Es ist eine Art Freizeitparadies, in dem eine verfettete und ziemlich verblödete Menschheit auf fliegenden Sesseln herumfährt, in der Hand einen Plastikbecher und vor den Augen einen Bildschirm. Von der melancholischen Beschaulichkeit des Anfangs wechselt der Film ins Gefilde der gefälligen Zeitkritik. Das Weitere ist absehbar: Die Menschen müssen sich aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit befreien.
Zwar ist der chaplineske Zauber da bereits vergangen, aber alles, was Pixarfilme groß macht ist noch da - etwa wenn Wall-E ausgeflippter Roboter befreit und mit ihnen Revolution macht.
Befremdet registriert man, dass die sprechenden Menschen einen hier merkwürdig kalt lassen, während die stummen, allenfalls stotternden Maschinen Sympathien auslösen. Wenn man genau hinhört, begreift man, dass es viel mit dem Sounddesign zu tun hat, das die Roboter mit genau platzierten Piepsern zu Persönlichkeiten werden lässt. Mitgewirkt hat der legendäre Ben Burtt, der vor über 30 Jahren mit dem Kunststück berühmt wurde, durch Sounddesign "eine Mülltonne in einen Teddybär" verwandelt zu haben. Die Rede ist von "R2 D2" aus "Star Wars", der eine Art Großvater von Wall-E sein könnte.
Wall-E - Der Letzte räumt die Erde auf
USA 2008
98 min. ohne Altersbeschränkung
Regie: Andrew Stanton
++++-