Hellmuth Karasek über Schweigepflicht im Parlament

Fast wäre es dazu gekommen! Hätte Angela Merkel als Kanzlerin nicht zuletzt noch die Notbremse in ihrer Fraktion gezogen, dann hätte die CDU für ein Redeverbot für Abweichler im Parlament gestimmt. Darauf konnten nur deutsche Bürokratenhirne kommen: Redeverbot im Parlament, das ist wie Schwitzverbot in der Sauna. Es war übrigens Hitler, der den Reichstag als "Schwatzbude" abtat, abschaffte und auf das Absingen der Nationalhymne (dafür gab es damals zwei) nach der Anhörung von alternativlosen Führerreden reduzierte.

Vielleicht sollte man daran erinnern, dass das Wort "Parlament" vom lateinischen "parlare", also "reden" kommt. Müsste man dort mit abweichender Meinung schweigen, wäre es ein Schweigekloster oder Lateinisch ein "Tacerent". Zwar gilt das Sprichwort: "Hättest du geschwiegen, wärst du ein Philosoph geblieben" und auch: "Reden ist Silber, Schweigen ist Gold", aber die Ausnahme sind eben Parlamente, weil dort jeder ungestraft und öffentlich reden kann, der zum Parlamentarier, also zum Redner gewählt worden ist.

Im Übrigen gibt es in einigen Parlamenten, so im ehrwürdigen amerikanischen US-Senat, sogar die Waffe des Dauerredens. Man nennt es "Filibustern", und es ist politische Praxis in den USA, eine Verschleppungstaktik.

Der berühmteste Filibuster, mit einer Einzelrede von einer Gesamtlänge von 24 Stunden und 18 Minuten, war der selige Senator Strom Thurmond aus South Carolina, um den Civil Rights Act zu verhindern. Nach Ausführungen zur Sache zitierte er die Unabhängigkeitserklärung, die Wahlgesetze sämtlicher Bundesstaaten sowie die Kuchenrezepte seiner Großmutter. Um nicht auf die Toilette zu müssen, hatte er sich bei einem Saunabesuch prophylaktisch ausgeschwitzt.

Ein berüchtigter Dauerredner war auch Kubas Fidel Castro. Der bärtige Politmacho hielt gefürchtete stundenlange Reden, mit der Zigarre in der Hand als einziger Stütze. Ihm wollte der amerikanische Geheimdienst CIA die Redezeit verkürzen. Man versuchte, seiner Cohiba-Zigarre ein Mittel zu injizieren, das nach wenigen Stunden zu Bartausfall führen sollte. Der virile "Líder" (Führer) hätte dann mit nacktem Gesicht blamiert dagestanden.

Diese und ähnliche Gefahren sind im Moment im Bundestag gebannt, weil die Redezeit dort ohnehin beschnitten ist. Aber nun darf, bis auf Weiteres, jeder reden. Ohne den Maulkorb für Abweichler.

Hellmuth Karasek schreibt jeden Sonntag in der Berliner Morgenpost