Stolpersteine gegen das Vergessen

| Lesedauer: 2 Minuten
Silke Böttcher

Manche Besonderheiten der Stadt sind so verborgen, dass man beinahe darüber stolpern muss, um sie zu entdecken. Hunderte Spaziergänger eilen achtlos daran vorbei, bis plötzlich jemand stutzt, stehenbleibt und vor seine Füße guckt. Auf eine kleine, messingglänzende Fliese, die direkt vor einem Hauseingang in den Boden eingelassen ist.

«Stolpersteine» heißen die Täfelchen, über die man in Kreuzberg, Friedrichshain und inzwischen auch in Charlottenburg «stolpern» kann. Und die zum Nachdenken anregen sollen. Denn sie weisen hin auf Menschen, die einst hier gelebt haben - bis die Nazis sie vertrieben, deportierten, ermordeten. Die Steine machen auf eindringliche Weise deutlich, dass es einstige Nachbarn waren, die aus ihren Wohnungen geholt und zu Opfern des Grauens wurden.

Erinnert wird an Juden, politisch Verfolgte, Homosexuelle, Euthanasie-Opfer. Auf jeder Tafel steht ein Name - ein Schicksal: Walter Loewenthal, Jahrgang 1898. Deportiert 1941. Ermordet in Riga. Henriette Raphael. Jahrgang 1912. Deportiert 1943. Auschwitz.

Loewenthals Stolperstein findet sich auf dem Bürgersteig der Strausberger Straße 39 in Friedrichshain, der von Henriette Raphael und zwei Familienmitgliedern an der Oranienstraße 167.

Hinter jeder Tafel steckt eine Tragödie. Gittel Caro aus der Feilnerstraße 3a war keine drei Monate alt, als man sie umbrachte - sie war Jüdin. Wilhelm Machold aus dem Mehringdamm 88 starb in Sachsenhausenf - er war homosexuell. Ernestine Jentsch aus der Körtestraße 5 wurde Euthanasie-Opfer, Willi Lenz aus der Landsberger Allee 42 starb wegen seiner politischen Haltung. Damit sie nicht vergessen werden, dienen die vor ihren einstigen Wohnhäusern angebrachten Steine als Mahnung.

Die Idee der «Stolpersteine» stammt vom Kölner Bildhauer Gunter Demnig, der das Projekt 1996 mit der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst initiierte. 300 mit Messing umkleidete und mit Namen versehene Pflastersteine wurden seither verlegt, 4000 sollen es werden. Auch an Sinti und Roma, Behinderte und Zeugen Jehovas, die Opfer des Nazi-Regimes wurden, will man erinnern.

Wer heute durch die Oranienstraße geht, findet alle paar Meter die unauffälligen Tafeln. 50 Menschen verschwanden allein in dieser Straße. Und plötzlich bekommt das Grauen Namen und Gesichter. Diese Menschen treten aus der anonymen Statistik der sechs Millionen Opfer hervor - als Nachbarn.

Infos: Kreuzberg-Museum, Adalbertstr. 95 a, Tel.: 50 58 52 33. Mi.-So. 12-18 Uhr.