Vorwürfe

Drygalla spaltet die Ruderszene

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Jens Bierschwale und Claudia Ehrenstein

Während die Funktionäre Erklärungen suchen, bestreitet die Rostockerin die Vorwürfe

Die neue Faktenlage verursachte ein kleines Logistikproblem. Aufgeschreckt von der Debatte um die Ruderin Nadja Drygalla versuchte Verbandspräsident Siegfried Kaidel, seinen für Montagnachmittag geplanten Rückflug vorzuziehen. Er wolle so schnell wie möglich mit der Sportlerin reden, sagte Kaidel der Berliner Morgenpost. Vor allem eine Frage möchte der Chef der Ruderer mit der 23-jährigen Rostockerin klären: "Noch wissen wir nicht, ob sie selbst in der rechtsextremen Szene aktiv ist."

Seit dem Wochenende gibt es Hinweise dafür, dass Drygalla mehr ist als die Freundin des NPD-Funktionärs Michael Fischer. Demnach soll sie selbst an Nazi-Demos teilgenommen und rechtspopulistische Internetseiten aufgesucht haben. Unklar ist, ob sie das lediglich an der Seite ihres Freundes, der auch Mitglied der für Demonstrationen verantwortlichen Kameradschaft "Nationale Sozialisten Rostock" ist, tat oder selbst aktiv war.

Zur neuen Faktenlage gehört auch dies: Drygallas Freund soll nach ihren Darstellungen seit knapp drei Monaten kein NPD-Mitglied mehr sein, Fischer habe "persönlich mit dieser ganzen Sache gebrochen und sich verabschiedet", sagte Drygalla in Rostock in einem Interview der Deutschen Presseagentur (dpa). Sie beteuerte: "Ich habe keine Verbindung in seinen Freundeskreis und diese Szene gehabt und lehne das absolut ab." Auf den erwähnten Demonstrationen sei sie nicht gewesen: "Ich bin das nicht."

Peinliche Kommunikationspanne

Die problematische Beziehung zu Fischer jedoch wird in der Ruder-Mannschaft anders gesehen. Maximilian Munski, Ersatzmann im Achter, hat 2006 mit Fischer bei der Junioren-WM in Amsterdam Silber gewonnen. Er sagt, schon damals habe Fischer öffentlich mit seinem rechten Gedankengut kokettiert. Als er dann mit Drygalla zusammenkam, habe er über die Problematik mit seinen Teamkollegen geredet. "Unter den Sportlern war das definitiv bekannt, wir haben oft darüber gesprochen", so Munski.

Die Trainer und Funktionäre wollen von derlei Gesprächen nichts mitbekommen haben und könnten selbst Opfer einer peinlichen Kommunikationspanne geworden sein. Demnach hat der für die Rostockerin Drygalla zuständige Landessportbund Mecklenburg-Vorpommern (LSB) schon seit einem Jahr von der problematischen Beziehung seiner Sportlerin gewusst. Eine Weitergabe dieser Informationen an DOSB oder Ruderverband sei aber nicht erfolgt, sagte der LSB-Vorsitzende Wolfgang Remer. "Auf die Idee sind wir gar nicht gekommen."

Wichtige Hinweise hätten von den zuständigen Stellen auch erfolgen müssen, nachdem Drygalla im September 2011 ihren Polizeidienst quittierte. Eigentlich hatte sie dort ideale Voraussetzungen vorgefunden. Zudem wäre auch ihre weitere Berufsplanung nach der aktiven Sportlerkarriere abgesichert gewesen. Drygalla gab all das auf, nachdem ihre Beziehung zu Fischer ruchbar geworden war. Nur aus Liebe? Oder aber, weil sie als Polizistin in der rechten Szene kritisch beäugt wurde? Einträge auf einschlägig bekannten Internetseiten belegen, dass sich andere Rechtsextreme aufregten, wenn Fischer mit der "Polizei-Braut" bei Treffen erschien.

Den Mangel an Kommunikation mag auch Dagmar Freitag (SPD) nicht nachvollziehen. Die Vorsitzende des Bundestags-Sportausschusses sagte der Morgenpost: "Ich beabsichtige, den Fall der Ruderin Nadja Drygalla schnellstens im Sportausschuss auf die Tagesordnung zu setzen. Der nächstmögliche Termin ist der 26. September 2012. Die anderen Fraktionen habe ich bereits am Freitag informiert, dass das Thema Olympische Spiele aufgrund der aktuellen Ereignisse Ende September beraten werden soll. Ich sehe dringenden Aufklärungsbedarf bezüglich der Kommunikationsstrukturen im deutschen Spitzensportsystem." Zudem sei sie verwundert, dass Drygalla einen Platz in der Sportfördergruppe hatte bekommen sollen. "Die Bundeswehr wird erklären müssen, ob sie tatsächlich eine Sportlerin aufnehmen wollte, die zuvor nach allem, was wir bislang wissen, wegen ihrer rechtsextremistischen Kontakte den Polizeidienst quittiert hatte."

DOSB-Präsident Thomas Bach hatte sich in London in einer Pressekonferenz gegen Unterstellungen verwahrt. "Ich bin nicht nur verwundert, sondern erbost über Äußerungen aus der Politik in Deutschland. Ich halte das für ein inakzeptables Vorgehen, die Aussagen und das Vorgehen der Mannschaftsleitung in Zweifel zu ziehen", sagte Bach: "Warum haben sie uns das nicht gesagt, wenn sie davon gewusst oder als sie davon erfahren haben?"

Erstes Interview in Rostock

Drygalla erklärte dagegen in dem dpa-Interview ihre Sicht der Dinge. Sie habe versucht, Einfluss auf Fischer zu nehmen, seine politische Richtung zu verändern. Auch von Trennung sei wegen seiner politischen Orientierung die Rede gewesen. Dann kam es zu dem angeblichen Parteiaustritt. "Ich denke, dass ich schon einen ziemlichen Anteil habe. Aber der Austritt ist ja nicht alles. Ihm ist von sich aus bewusst geworden, in welche Richtung er gehen möchte, wie er in geregelten Bahnen weitermachen will."

Sie sei erschrocken gewesen, welche Ausmaße die Diskussionen um sie und ihre Verbindungen zur rechten Szene genommen hatten. "Ich hoffe, dass manche Sachen in den Medien richtig gestellt werden", sagte sie. "Ich habe viele Bilder gesehen, unter denen mein Name stand und vermeintliche Fakten gelesen, die einfach falsch sind. Ich kann das Interesse an dem Thema nachvollziehen, aber die Diskussion läuft seit drei Tagen ohne Kommentare von mir. Dafür ist mit vielen falschen Sachen und Überschriften rumgeworfen worden. Wenn einfach nur die falschen Dinge richtig gestellt würden, wäre ich schon zufrieden." Ihre Zukunft sieht sie offenbar nach wie vor im Rudersport: "Natürlich möchte ich mit dem Sport weitermachen. Ich wünsche mir, dass ich meine Pause in Ruhe beginne und dann Anfang September wieder anfangen kann."

Ob es so kommt, erscheint allerdings derzeit sehr fraglich. Präsident Kaidel forderte auf der DRV-Webseite: "Förderanträge haben wir ausgesetzt, und natürlich muss man von ihr mindestens eine öffentliche Distanzierung von rechtsextremem Gedankengut erwarten. Ob sie dann eine Chance erhalten kann, werden diese Ermittlungen zeigen." Drygalla wollte als Soldatin in die Sportfördergruppe der Bundeswehr eintreten.

International hat der Fall in den Medien keine große Aufmerksamkeit erregt, nicht einmal in den britischen Boulevard-Zeitungen. Selbst die IOC-Athletenkommission, die oberste Interessenvertretung aller Olympia-Sportler in London, hat sich mit dem Fall Drygalla bislang nicht befasst. Das bestätigte deren deutsche Vorsitzende Claudia Bokel.

( mit sid und dpa )