WM-Vorrunde, Deutschland gegen Frankreich, es geht um den Gruppensieg - am Bundespressestrand kann man dabei sein. Mitten unter Zeitgenossen, die nur ihren Feierabend genießen, unter Müttern mit Kindern und unter einigen Fußballfans. Rundum merkt man von WM-Fieber jedenfalls nichts.
Andreas aus Brandenburg hat sich seinen Platz in der ersten Reihe gesichert. Als die deutsche Nationalhymne läuft und das Gesicht von Babett Peter über die Leinwand flackert, steht er auf und singt mit. Ein paar wenige tun es ihm nach. "Ick liebe diesen Zusammenhalt des Teams", sagt er mit glänzenden Augen.
Andreas hat schon viele Fußballspiele gesehen. Andreas hat auch schon viele Biere getrunken. Dafür ist Andreas der einzige, der am Bundespressestrand so etwas wie Fußball-Feeling verkörpert. Der Rest der rund 400 Anwesenden verfolgt die Partie mit Wohlwollen und mäßigem Interesse.
"Es stört mich nicht, dass Frauenfußball läuft", sagt Igor, der mit seinen Kumpels für ein paar Drinks vorbeigekommen ist. Echte Fans sind kaum zu finden. "Es gibt zu wenig Public Viewing, zu wenige Fahnen, zu wenig alles", bemängelt Luise Boesche, die samt Schwester und Nichte aus Reinickendorf angereist ist. Alle drei waren beim Eröffnungsspiel, jetzt vermissen sie die gute Stimmung. Als Inka Grings zum 2:0 einköpft, stammt der meiste Lärm von lila-grünen Aufblas-Würsten, die eine Modefirma als Werbegeschenke verteilt hat. Nein, das ist noch nicht der "Fußball von seiner schönsten Seite", den uns der WM-Slogan versprochen hat.
Zehn Tage nachdem die WM Berlin den Rücken gekehrt hat scheint es, als habe sich auch der Hype in der Hauptstadt verabschiedet. Obschon Nationaltrainerin Silvia Neid vor der Partie gegen Nigeria erleichtert feststellte, dass in Frankfurt nicht so viele Fans vor dem Hotel gewartet hätten wie in Berlin, findet das Turnier hauptsächlich vor den heimischen Fernsehern und nicht auf der Straße statt. Eine Fanmeile beispielsweise wird es nicht mehr geben. "Das hätte sich nicht gelohnt", sagt Willy Kausch, Erfinder des Events. "Eine gewisse Euphorie ist da, aber nicht genug, um Sponsoren zu überzeugen." Public Viewing gibt es nur puktuell. Spontan rausgehen und mitmachen ist eher schwierig.
Und trotzdem entbehrt es nicht einer gewissen Anerkennung; die hohen Einschaltquoten im Fernsehen und auch die 400 Zuschauer am Bundespressestrand.
Als Tanja Walther-Ahrens ihre Profikarriere Anfang der neunziger Jahre bei Tennis Borussia Berlin begann, war es kaum drei Jahre her, dass die Frauennationalmannschaft für ihren EM-Titel mit einem Kaffeeservice belohnt wurde. "Von so einer Aufmerksamkeit für meinen Sport wie jetzt hätte ich damals nicht mal zu träumen gewagt", sagt Walther-Ahrens heute. Sie sitzt auf dem roten Sofa ihrer Schöneberger Dachgeschosswohnung. Zusammen mit Partnerin Christina hat sie zum Fußballabend geladen. Keine Männer, dafür viel fußballerischer Sachverstand. Als das erste Tor fällt wird gejubelt, nicht gegrölt. "Das finde ich so angenehm. Die Stimmung ist nicht so aggressiv aufgeladen, wie bei den Männern", sagt Walther-Ahrens. Trotzdem werde die Vermarktung der Schönheit und Weiblichkeit dem Sport nicht gerecht.
Der Frauenfußball will sich selbst erfinden und kommt doch um den Vergleich mit den Männern nicht herum. Für die WM ist das nicht förderlich. Viele haben ihre Erwartungen höher angesetzt, als Kerstin Garefrekes ihren Gedächtnis-Schuss gegen Kanada. Sie vergessen dabei, dass der Frauenfußball noch in den Kinderschuhen steckt. Ihm gehört zwar die Zukunft, glaubt DFB-Präsident Theo Zwanziger, aber "Männerfußball ist Frauenfußball mal zehn", sagt Willy Kausch und meint Zuschauerzahlen und Sponsorengelder. Das ist die Gegenwart.
Alle wollten sie das "Sommermärchen" erneut herbeizitieren. Politiker, Unternehmen und Medien gleichermaßen. Doch wie das oft so ist mit Fortsetzungen, lassen sich Erfolge nicht automatisch wiederholen. Dass man das Spiel mit den Frauen in Berlin trotzdem erfolgreich unters Volk bringen kann, beweisen die Macher des Fußballmagazins "11Freunde". Im Lido in Kreuzberg haben sie ihr "11Freundinnen-WM-Quartier" aufgeschlagen. "Für uns war das ein Experiment. Es hätte sein können, dass wir hier nur mit 50 Leuten sitzen", sagt Redakteur Jens Kirschneck. In rotem Disco-Licht, mit Tischkicker, Indie-Rock in der Pause und 600 Besuchern erinnert das Geschehen stark an 2006 und 2010. Und mindestens die Hälfte der Gäste ist weiblich. "Schon jetzt spielen eine Millionen Frauen Fußball, die Frauen sind am kommen", sagt Kirschneck.