"Tom meets Zizou"

Oh, wie schön ist Australien

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Lorenz Vossen

Foto: Babylon

Der Film "Tom meets Zizou" erzählt vom Leben des Fußballers Thomas Broich, der in Deutschland ganz unten war, um fern der Heimat wieder aufzustehen.

Südlich von Brisbane, irgendwo in der Wildnis: Thomas Broich steht unter einem Wasserfall. Er ist mit einem Freund zum Campen hinausgefahren. Seine Regenjacke leuchtet bunt, seine Haut ist braun gebrannt. Dann fängt er an zu brüllen, brüllt seine Lebensfreude hinaus und reckt die Arme zum Himmel, während die Wassertropfen an ihm herabfließen.

So beginnt die Dokumentation, die heute beim Fußballfilmfestival "11mm" in Berlin gezeigt wird. "Tom meets Zizou - Kein Sommermärchen" steigt da ein, wo für Protagonist Thomas Broich ein neues Leben anfängt. In den folgenden zwei Stunden erfährt man, was es für den ehemaligen Bundesligaprofi bedeutet, unter einem australischen Wasserfall zu stehen und sich wie neugeboren zu fühlen. Denn in Deutschland war Broich zuletzt mit jedem Tag ein bisschen mehr gestorben.

"Ich musste aus Nürnberg raus, sonst wäre ich kaputt gegangen", sagt er. Der 30-Jährige sitzt im Hotel Meininger am Berliner Hauptbahnhof. Er leidet noch unter Jet-Lag. Erst am Tag zuvor ist er angekommen, um bei der Premiere seines Films dabei zu sein. Schulklassen aus halb Europa bevölkern das Gebäude, und man könnte meinen, Broich gehöre dazu. Sein jugendliches Aussehen hat er nicht verloren. Doch er ist kein Kleiner mehr. Die Jahre, die hinter ihm liegen, haben ihn reifen lassen. Im Mai 2010 wechselte er vom 1. FC Nürnberg zu Brisbane Roar. Vor zwei Wochen gewann er dort die Meisterschaft und wurde zum zweitbesten Spieler der Liga gekürt. Es hat schon etwas Tragisches, dass einer wie Broich um die halbe Welt reisen muss, um Titel zu gewinnen.

2004 gilt der gebürtige Münchner als einer der Hoffnungsträger des deutschen Fußballs. Vom Zweitligisten Wacker Burghausen geht er nach Gladbach, wo er zum Nachfolger von Günter Netzer stilisiert wird. Kaum einer führt zu dieser Zeit den Ball so eng am Fuß wie er. Auftritte im Perspektiv-Team für die WM 2006 folgen. Broich liebt seinen Beruf. Er genießt das Leben als Profi, ohne die Bedeutung dessen zu vergessen, was er tut: "Als Fußballer hat man die Möglichkeit, Emotionen zu wecken. Wir sind Künstler."

Doch seine eigenen Emotionen bleiben bald auf der Strecke. Er verletzt sich und beginnt zu hadern: mit dem Geschäft, mit Trainer Dick Advocaat, mit sich selbst. Die Schwarz-Weiß-Malerei in der Bundesliga macht ihm zu schaffen. Broich flüchtet sich in seine Rolle als Feingeist. Schon zu Beginn seiner Karriere gilt er als "der etwas andere Profi". Einer, der klassische Musik hört und Bücher liest, sogar in der Halbzeit. Sein Spitzname: "Mozart". Für ein Lifestylemagazin lässt er sich in einem Opernhaus im Anzug und mit weißen Turnschuhen ablichten. Broich kokettiert. "Diese Mozart-Nummer hat natürlich meine Eitelkeit bedient, aber im Endeffekt meine Karriere verdorben", sagt er heute. Mit dem 1. FC Köln gelingt ihm 2008 der Aufstieg, doch unter Christoph Daum kommt er nicht zurecht. In Nürnberg geht schließlich gar nichts mehr. Broich attestiert sich selber eine "ausgewachsene Fußball-Depression".

Filmprojekt läuft seit 2003

Es passt zu dem Weg des Mittelfeldspielers, dass er 2003 auf das Angebot von Aljoscha Pause eingeht. Der Regisseur sucht einen Protagonisten für eine Langzeitstudie. Pause will die Karriere eines jungen, aufstrebenden Fußballers mit der Kamera begleiten. "Nichts gegen Bastian Schweinsteiger, aber das wäre mir zu wenig gewesen." Pause sucht "eine vielschichtige Persönlichkeit." Der 39-Jährige ist einer, der in seinen Dokumentationen die gesellschaftlichen Komponenten des Fußballs einfängt: Hooligans, Alkohol, Homophobie - jetzt Broich. Acht Jahre sind die beiden ein Team. So entstehen mehr als 100 Stunden Filmmaterial. Und ohne, dass der Regisseur aus Bonn es 2003 hätte voraussehen können, ist "Tom meets Zizou" nicht nur das Porträt eines Fußballerlebens geworden, sondern auch eine Auseinandersetzung mit den Absurditäten des Fußballgeschäfts. Und wie ein nachdenklicher, labiler Mensch daran zugrunde gehen kann. Ein Thema, das seit dem Tod von Robert Enke nie aktueller war.

Ist Broich in Gladbach noch ein lebenslustiger, junger Mann, sieht man ihn im Laufe des Films verhärmen. An einer Stelle sagt er über sich selbst: "Das war ein guter Junge, der nie jemandem etwas zuleide getan hat, der in der Folge aber etwas verdorben wurde durch das böse Geschäft." Obwohl das Verhältnis zwischen Regisseur und Darsteller während der Dreharbeiten über ein rein professionelles hinausging, bietet Pause Broich keine Plattform zur Selbstdarstellung. Auch die anderen kommen zu Wort. Zum Beispiel Michael Oenning, der Broichs Büchertick kritisiert. Oder an einer amüsanten Stelle, wo Daum und Broich getrennt voneinander befragt werden. Daum: "Mit Thomas kann man sehr gute Gespräche führen." Broich: "Wir haben, glaube ich, noch nie ein richtiges Gespräch geführt." In Australien hat Broich sein "Seelenheil" gefunden. Er liebt die unaufgeregte Art seiner neuen Landsleute. Die Zeit in der Bundesliga will er hinter sich lassen. "Tom meets Zizou" ist für Broich auch ein Schlussstrich. Bevor er geht, will er noch etwas loswerden: "Ich habe viel Scheiße gebaut, aber ich habe dafür bezahlt."