Hertha Inside

"Hier geht es um Ehre und Charakter"

| Lesedauer: 10 Minuten

Hertha BSC spielte eine atemberaubende Saison. Doch auf einmal bleibt den Anhängern förmlich die Luft weg. Die Mannschaft ist Letzter, kämpft statt um die Deutsche Meisterschaft gegen den Abstieg, und der eben noch gefeierte Trainer Lucien Favre ist bereits entlassen. Michael Preetz, Waldemar Hartmann und Stefan Frommann diskutieren: Wie kommt Berlin wieder aus dem Ligakeller heraus?

Stefan Frommann: Michael Preetz, Sie haben es in der Kabine richtig krachen lassen. Ist dem Team der Ernst der Lage jetzt bewusst?

Michael Preetz: Das hoffe ich doch sehr. Wir haben in Nürnberg nicht gesehen, dass die Mannschaft den Ernst der Lage restlos begriffen hat, und ich habe sie deswegen noch mal daran erinnert, was nötig ist in einer solchen Situation, wie man auftreten muss, was man insbesondere den Fans für Botschaften geben muss. Der Auftritt der Mannschaft muss sich total verändern.

Michael Preetz: Was fordert Ihr denn von der Mannschaft?

Preetz: Wir haben Abstiegskampf, das muss man in dieser Deutlichkeit so sagen. Und ich hatte den Eindruck, dass nach dieser fantastischen Saison manche das Gefühl haben, alles ginge von selbst. Nichts geht von selbst.

Stefan Frommann: Ausgerechnet zwei Schweizer haben in Nürnberg Hertha abgeschossen, ganz im Geiste Favres. War es richtig, dass Hertha seinen Schweizer Trainer entlassen hat?

Hartmann: Wenn du sechs Spiele hintereinander verlierst und offensichtlich die Chemie zwischen Mannschaft und Trainer nicht mehr stimmt, dann muss man rechtzeitig die Leine ziehen. Ein Wake-up-Call, und das passiert meistens durch die personelle Veränderung. Ich finde die Entscheidung richtig.

Stefan Frommann: Ich zitiere Michael Preetz nach dem 1:5 in Hoffenheim: Lucien Favre ist der richtige Trainer zum richtigen Zeitpunkt. Kurz darauf ist Friedhelm Funkel da, und Sie sagen, Funkel sei der richtige Trainer zum richtigen Zeitpunkt. Was ist dazwischen nur passiert?

Preetz: Das ist nicht ganz richtig. Ich habe in Hoffenheim gesagt, dass wir uns am nächsten Tag zusammensetzen und gemeinsam die Situation analysieren. Ich hatte vorher gesagt, dass Favre der richtige Trainer für Hertha ist. Ich bin auch heute noch davon überzeugt, dass er ein hervorragender Fußballfachmann ist. Aber diese Negativserie hat Spuren hinterlassen, auch im Miteinander von Mannschaft und Trainer, und nach diesem desaströsen Auftritt in Hoffenheim war der Trainer ja selber nicht mehr davon überzeugt, dass er mit dieser Mannschaft noch die Kurve bekommt.

Stefan Frommann: Angeblich hat die Mannschaft gegen Favre opponiert. Es fallen dabei immer die Namen Friedrich, Ebert, Wichniarek.

Preetz: Das ist Quatsch. Kein Fußballer spielt aktiv gegen seinen Trainer. Denn alle wollen den Erfolg. Sie wollen sich aus dieser prekären Situation befreien. Die Ursachen liegen vielmehr darin, dass über diese Strecke auch etwas passiert ist im Binnenklima, das uns am Ende zu diesem Schritt gezwungen hat.

Stefan Frommann: Der TV-Reporter nannte Hertha am Samstag seelenlos. Wer Charakter hätte, sei längst weg. Hatte der Mann recht?

Hartmann: Ja, wenn man die Mannschaft angeschaut hat, war man entsetzt. Das war tatsächlich seelenlos.

Stefan Frommann: Minus Voronin, Pantelic und Simunic ist das die Mannschaft, die noch den kompletten März über Tabellenführer war. Wie erklären Sie das dem Fan?

Preetz: Es kann eben nicht alles weg sein, was vor drei bis vier Monaten noch gut funktioniert hat. Wir wussten natürlich, dass wir hart am oberen Anschlag gespielt haben. Es war eine annähernd perfekte Saison. Und wir wussten vor dieser, dass wir nach den Abgängen dieser drei Leistungsträger natürlich Qualität verloren haben. Aber ich glaube: Wenn man unseren Kader sieht, erkennt man allemal, dass unser Saisonziel realistisch ist: ein einstelliger Tabellenplatz. Ich glaube, dass diese Zielstellung nach wie vor realistisch ist. Es ist aber ein anderes Fußballspielen im Tabellenkeller als an der Tabellenspitze. Die Mannschaft muss sich wieder den Erfolg von ganz unten heraus erarbeiten.

Stefan Frommann: Fühlen Sie sich wohl dabei, die Rolle von Dieter Hoeneß übernommen zu haben?

Preetz: Ich bin seit 1996 hier und identifiziere mich total mit Hertha und natürlich auch mit Berlin. Ich glaube, es ist auch bekannt, dass ich viele Möglichkeiten hatte, vorher woanders in die erste Reihe zu treten. Das wollte ich nicht. Ich wollte es hier machen. Ich habe nicht umsonst meinen Karriereaufbau so gelegt, dass ich hier lange Jahre in der zweiten Reihe war.

Stefan Frommann: Was entgegnen Sie denen, die sagen, die Schuhe von Dieter Hoeneß seien für Sie wohl noch zu groß?

Preetz: Wenn man nach neun Spieltagen drei Punkte hat, dann fehlen einem an dieser Stelle natürlich die Argumente. Ich kann nur eines sagen: Mit der Champions League am Ende der letzten Saison wäre es möglich gewesen, diese Mannschaft zusammenzuhalten und zu verstärken. Ohne Champions League war es schlichtweg unmöglich. Wir mussten konsolidieren, wir mussten Spieler abgeben, wir mussten Transfererlöse erzielen. Und wir mussten versuchen, mit einem überschaubaren Budget der Mannschaft neue Impulse zuzuführen. Das ist die Realität, und das wusste ich, als ich diese Aufgabe übernahm.

Stefan Frommann: Dass Sie gerade noch zehn Euro für neue Spieler übrig haben, liegt ja auch an dem Erbe, das Sie angetreten sind.

Preetz: Ja, natürlich. Aber ich sage es noch mal und bitte um Verständnis: Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, eine Rückbetrachtung zu führen, welche Fehler gemacht wurden. Was wir beeinflussen können, dass ist die Gegenwart.

Hartmann: Zur Frage, ob man Dieter Hoeneß zurückholen soll, zitiere ich meine Mutter. Die hat immer gesagt: Nur Sauerkraut wird beim Aufwärmen besser. Was soll er denn machen? Geld hat er auch nicht mehr im Sack als jetzt drin ist. Soll er in der Kabine noch lauter schreien? Wenn ich sehe, was die Brasilianer da machen - schön mit Hacke spielen -, sage ich: Die haben den Ernst der Lage nicht erkannt. Sie wissen, dass sie gut Fußball spielen können, und wenn das hier nicht klappt, werden sie eben woanders einen Vertrag bekommen. Also muss man sie an der Ehre, am Charakter kriegen. Friedhelm Funkel ist einer, der das tut. Du musst die 20 Kameraden jetzt auf Trab bringen, das ist das Wichtigste.

Stefan Frommann: Steckt in der Mannschaft wirklich genügend Qualität?

Preetz: Es wird wichtig sein, die Mentalität zu wechseln. Jeder gute Fußballer, jeder Techniker muss das jetzt erst mal zurückstellen, er muss seine ganze Kraft in den Dienst der Mannschaft stellen, bis wir wieder schönen, dann wieder technisch guten Fußball und sogar mit Hacke spielen können. Ohne Wenn und Aber: Friedhelm Funkel ist der richtige Mann mit richtig großem Erfahrungsschatz und der richtigen Art und Weise, eine Mannschaft anzusprechen.

Stefan Frommann: Braucht Hertha nicht dringend einen schlagkräftigen Stürmer und einen richtigen Abwehrchef?

Preetz: Das ist jetzt der falsche Zeitpunkt, darüber nachzudenken. Wir werden die Entwicklungen bis zur Winterpause genau verfolgen und schauen, ob wir gegebenenfalls auch noch mal etwas machen müssen, was schwierig ist unter den finanziellen Voraussetzungen. Aber dass wir uns zusammensetzen, wenn wir Bedarf ausgemacht haben, das kann ich sicher sagen.

Stefan Frommann: Bedarf haben Sie jetzt also noch keinen ausgemacht?

Preetz: Wir können jetzt nicht reagieren. Das ist schlichtweg die Situation. Deswegen bringt es auch nichts, jetzt darüber zu diskutieren. Wir haben durch die Bank weg sehr erfahrene Spieler. Drobny, Friedrich, Kacar, Raffael, das sind alles Spieler, die schon in der letzten Saison eine große Rolle gespielt haben. Wenn die dann phasenweise wegbrechen durch Verletzungen, durch Formschwächen, dann bekommst du natürlich ein Problem. Langsam kommen diese Spieler wieder zurück.

Stefan Frommann: Was ist an dem Geheimplan, Voronin zurückzuholen?

Preetz: Ich kann das gern noch mal sagen: Mit Champions League am Ende der Saison hätten wir alles getan, um Andrey in Berlin zu halten. Ohne Champions League war das nicht möglich.

Stefan Frommann: Pantelic hat nur einen Einjahresvertrag in Amsterdam. Kann man ihn in der Winterpause nicht günstig rausholen?

Preetz: Dass Marko ein guter Stürmer ist, das ist bekannt. Auch dass wir versucht haben, ihn zu halten. Wir haben ihm ein wirklich gutes Angebot gemacht. Er hat es gekontert mit einer aberwitzigen Forderung, die nicht zu erfüllen war. Wie da die Situation im Winter aussieht, kann ich nicht sagen. Er hat einen Vertrag bei Ajax.

Stefan Frommann: Trauen Sie Friedhelm Funkel Herthas Rettung zu?

Hartmann: Natürlich. Weil er ein ruhiger Mann ist, weil er solche Situationen schon öfter erfahren hat. Seine Erfahrung braucht Hertha jetzt.

Preetz: Aber es ist wichtig, dass wir im Verein jetzt alle zusammenstehen. Nur zusammen werden wir aus dieser Situation herauskommen.

Nächsten Mittwoch lesen Sie in Hertha Inside: Frau fragt nach - auf den Spuren der Herthaner

Wenn wir nicht "Meister" werden, sagt keiner was. Wir stehen nicht unter Druck. Wenn wir es schaffen, wäre das ein kleines Wunder