- Gut gelaunt las Hoeneß also "Der Hase und der Igel" - und wurde anschließend gefragt, ob denn das, was bei Hertha BSC derzeit vonstatten geht, auch als Stoff für ein Märchen tauge. "Nein", antwortete er, denn: "Märchen sind Fantasie und nicht real. Unsere Entwicklung findet dagegen in der Wirklichkeit statt."
Der damit angesprochene Vorstoß der Berliner ins obere Tabellendrittel der Fußball-Bundesliga soll anhalten, schon morgen (15.30 Uhr) im Heimspiel gegen den Hamburger SV besteht dazu Gelegenheit. Nichts einzuwenden hätte Hoeneß, würde Hertha da den gewitzten und daher siegreichen Igel geben, während der Gegner ohne Ertrag von da nach dort rennt.
Weil Märchen manchmal eben doch wahr werden, stehen die Chancen sogar sehr gut: Immerhin kommt Herthas Lieblingsgegner ins Olympiastadion. "Hase" Hamburg hat sich dort seit 1997 regelmäßig übertölpeln lassen; an keinem anderen Bundesliga-Standort wartet der Traditionsverein so lange auf ein Erfolgserlebnis wie in Berlin, wo "Igel" Hertha in den letzten zehn Duellen nur vier von 30 möglichen Punkten abgab. Der letzte HSV-Sieg ist mehr als elf Jahre her (29. August 1997, 2:0), und auch jetzt graut es Hamburgs Vorstandschef Bernd Hoffmann vor der Reise an "den aus unserer Sicht lausigsten Bundesliga-Standort".
Hoeneß nimmt die Worte des Rivalen genüsslich auf und sagt: "Spiele gegen den HSV in Berlin waren aus Hertha-Sicht immer recht erfreulich. Diesen Nimbus würden wir gerne wahren." Zu schön sind einfach die Erinnerungen an vergangene Duelle. 31:7 lautet im Bewertungszeitraum das Torverhältnis aus Berliner Sicht, gleich zwei Mal gab es ein halbes Dutzend Berliner Tore. Beim 6:1 in der Saison 1998/99 gelang Michael Preetz, dem heutigen Leiter der Lizenzspielerabteilung, ein Hattrick. Noch übertroffen wurde das im März 2002 von Bart Goor. Der sonst selten überdurchschnittliche Belgier bereitete Preetz' Führungstor vor, traf anschließend selbst vier Mal und außerdem noch je einmal Pfosten und Latte.
In der Saison 2005/06 verbaute Hertha dem HSV am vorletzten Spieltag sogar den Einzug in die Champions League. Hamburg führte mit 1:0 und 2:1, verlor am Ende aber 2:4. Oder die Bundesliga-Rückkehr von Huub Stevens: Hertha, nein, Mineiro in seinem ersten Bundesliga-Spiel, verdarb sie dem niederländischen Ex-Trainer im Februar 2007. In der 90. Minute knallte der Zugang aus Brasilien den Ball zum 2:1 in den Winkel.
Nun hätte ein Sieg erneut Charme. Hertha, derzeit Fünfter, würde so den in der Tabelle um einen Rang besser notierten HSV überflügeln und sich "oben richtig festsetzen" (Hoeneß). Trainer Lucien Favre setzt darauf, dass seine Mannschaft denselben Biss entwickelt wie beim 1:0 gegen 1899 Hoffenheim: "Das müssen und das werden wir erreichen." Und wenn nicht? Dann hilft noch immer der Glaube ans Märchen: Da enteilt der Igel dem Hasen satte 73-mal erfolgreich. Demnach kommt der Hamburger SV im Olympiastadion ohnehin frühestens 2071 wieder zu einem Sieg.
"Spiele gegen den HSV in Berlin waren aus Hertha-Sicht immer recht erfreulich. Diesen Nimbus würden wir gerne wahren"
Dieter Hoeneß