«Kaum anders als zu DDR-Zeiten»

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Torsten Wendlandt und Torge Horn

Plötzlich ist er der bekannteste Schwimmtrainer Deutschlands. Das triumphale EM-Comeback seines Weltrekord-Goldfisches Franziska van Almsick im Sommer hat Norbert Warnatzsch zum begehrten Erfolgscoach gemacht, der 55-Jährige hat eine eigene Homepage. Seine Neuköllner Trainingsgruppe mit sechs Olympiakadern bekam starken Zulauf, der Verein hat für Athleten wie Torsten Spanneberg, Daniela Samulski und Britta Steffen extra Visitenkarten drucken lassen. Diese geben seine Athleten derzeit bei den deutschen Kurzbahn-Meisterschaften in Goslar und der Europameisterschaft in Riesa in zwölf Tagen ab. Auch ohne Vorschwimmerin van Almsick.

Herr Warnatzsch, sind Sie ein Wundertäter?

Norbert Warnatzsch: Schreiben Sie bloß keine Helden-Epen über mich. Ich bin ein bescheidener Mensch, aber ich habe immer für diesen Erfolg gelebt. Und ich habe von Anfang an hart dafür gearbeitet. Das hatte sich übrigens schon vor der EM mit Franziska rumgesprochen, zum Beispiel als Spanneberg bei Olympia 2000 und der WM 2001 Medaillen holte. Aber mit Zauberei hat das natürlich alles nichts zu tun.

Also womit dann?

Ich stehe um 5.30 Uhr auf, habe oft einen langen Tag am Olympiastützpunkt im Sportforum vor mir. Wichtig ist, dass ich dort als kooptierter Trainer mit den Landes- und Bundesstützpunkttrainern zusammen arbeiten kann, und dabei spielt es kaum eine Rolle, welcher Athlet zu welchem Verein und welchem Trainer gehört. Ich nutze das System aus, aber ich bin kein Hexer.

Aber Sie gelten als Perfektionist.

Am Anfang waren manche Eltern ein bisschen skeptisch, aber da ist längst viel Vertrauen. Denn die Schwimmer werden vom Verein perfekt betreut, das Umfeld stimmt, der Vorstand unterstützt mich perfekt. Das merken die Athleten und sie kommen von ganz allein. Was ich mache, ist letztlich der Versuch, effektiv und wissenschaftlich zu arbeiten. Das ist in diesem Punkt kaum anders als zu DDR-Zeiten.

Das müssen Sie erklären.

Ich bin kein großer Redner, sage meinen Leuten nicht, wie gut sie sind. Ich zeige ihnen die Fakten der akribischen Auswertung, die Zeiten. Daraus ergibt sich, was sie beim nächsten Mal genau so oder anders machen müssen. Ich arbeite planmäßig und lege großen Wert auf Trainingssteuerung. Man muss auch mal langsamer sein, um am Ende schneller schwimmen zu können. Wenn man zum Beispiel in einem bestimmten Laktatbereich bleiben soll, wäre es falsch, voll reinzuhauen. Dass Franziska beim Weltcup in Berlin im Januar noch schlecht war, das war einfach planmäßig so. Aber viele haben sie da schon abgeschrieben.

Sie hatten Recht, alles ist gut gelaufen. Eigentlich könnten Sie sich jetzt zurücklehnen.

Ich könnte mich jetzt hinstellen und die große Klappe haben. Aber ich hasse Überheblichkeit. Wissen Sie, ich bin nie zufrieden, ich gucke nur nach vorn, Richtung WM 2003, Olympia 2004. Dort sollen meine Leute nicht nur in den Staffeln Medaillen abgreifen, sondern auch welche in den Einzelrennen holen. Das kann natürlich nicht jeder schaffen, das wäre dann wirklich ein Wunder. Aber auch ich selbst entwickle mich ja weiter.

Zum Beispiel?

Man muss schon sehen, was die Konkurrenz in der Welt so treibt. Vor Jahren noch ist man zum Beispiel die langen Strecken aus den Armen geschwommen, heute wird das konstant mit Sechser-Beinschlag gemacht. So etwas darf man nicht verpassen. Früher hat die DDR im Skilanglauf die Einführung der Skating-Technik verpennt, so etwas darf mir nicht passieren.

Franziska van Almsick lässt die Kurzbahn-Saison aus. Zuletzt waren von ihr nur die neuesten Fotos zu bewundern. Stört Sie das?

Nein, ich gucke mir schon die Fotos an. Ich bin ein toleranter Mensch. Inzwischen ist sie ja auch wieder im Training. Wir beide wissen, was sie drauf hat und wann hart gearbeitet werden muss. Ich habe kein Problem, einer Millionärin auch mal zu sagen, wo es langgeht.

Könnte das 18-jährige Schmetterlings-Talent Daniela Samulski die neue van Almsick werden?

Es gibt keine neue van Almsick. Franziska bleibt Franziska. Daniela hat natürlich Potenzen, wenn ich nur an die Beinkraft für die Starts und an die Ausdauer für die 100 Meter denke. Zur absoluten Weltspitze fehlt es noch, aber sie hat noch eine Menge vor sich.

In ihrer Gruppe arbeiten Sie jetzt mit zehn viel versprechenden Athleten. Wie viele sollen noch dazukommen?

Ich glaube, es reicht so langsam. Es ist eine sehr harmonische Gruppe, alles sehr intelligente Leute, die wissen genau, was sie wollen. Da kann ich mich beruhigt auch mal umdrehen, da schummelt keiner.

Welcher Moment ist an so einem Arbeitstag am Becken Ihr schönster?

Wenn meine Leute von allen acht Bahnen gleichzeitig losspringen. Dann gehen mir die Haare hoch. Das ist dann ein sehr emotionaler Augenblick.