Der Tabellen-Sechste beim Spitzenreiter der Fußball-Bundesliga: Heute beim FC Bayern muss Hertha BSC zeigen, wie gut die Mannschaft wirklich ist. Die souverän führenden Gastgeber können schon zwei Runden vor Ende der Hinrunde die Herbstmeisterschaft perfekt machen.
Es ist immer das gleiche. Vor dem Spiel und nach dem Spiel. Egal, ob die Trainer Jürgen Röber oder Falko Götz hießen. Vor dem Anpfiff im Münchener Olympiastadion lautete die Devise: Bei den Bayern dürfe man sich nicht verstecken. Mitspielen sei angesagt. Nach dem Abpfiff war es zumeist Manager Dieter Hoeneß, der fand, dass Hertha gut mitgehalten habe, na ja, eine Stunde jedenfalls. Leider war auch das Resultat zumeist das gleiche: Ernüchterung bei den Gästen aus Berlin, Feixen bei den Gastgebern. 0:3, 1:3, 1:4, 0:3 - seit dem Wiederaufstieg 1997 blieb Hertha BSC beim FC Bayern ohne Chance. Das 1:1 aus der Saison 1998/99 war die Ausnahme, die die Regel bestätigt.
Heute ist es wieder soweit. Hertha tritt am 15. Bundesliga-Spieltag beim FC Bayern an. Der Hauptstadt-Klub fordert den Branchenprimus. Seit dem Einzug in die Champions League 1999 lautet das erklärte Ziel der Berliner, zu den zwei, drei nationalen Topklubs aufzuschließen. Zumindest in Schlagweite zu gelangen von den Gastgebern mit ihren 17 Meistertiteln sowie den Europa- (6) und Weltpokalsiegen (2).
Auch die aktuelle Ausgangslage beschreibt den Unterschied zwischen Wollen und Können. Die Gäste sprechen als Tabellen-Sechster (22 Punkte) beim Spitzenreiter (32) vor. Hertha-Trainer Huub Stevens redete seiner Mannschaft Mut zu. Von den eigenen Stärken war die Rede und davon, dass man selbst die Bayern unter Druck setzen müsse. Eine Devise hat er auch schon ausgegeben: «Wir dürfen uns nicht hinten reinstellen.»
Nun hat Hertha sich durch die Heimpleite gegen Werder Bremen (0:1) selbst unter Druck gebracht. Ein Blick auf die Tabelle suggeriert, noch sei alles möglich. Die Uefa-Cup-Ränge liegen nur einen Zähler entfernt, die Champions-League-Plätze nur zwei. Doch wenn man im nationalen Gewerbe irgendwo verlieren darf, dann beim Rekordmeister. Weshalb der sonst so betont ehrgeizige Dieter Hoeneß ausgerechnet vor dem Auftritt in München überraschend milde Töne anschlägt.
Nein, lässt der Manager einfließen, der Auftritt in München sei «kein Big-Point-Spiel». Schließlich gehe es nicht gegen einen unmittelbaren Konkurrenten im Kampf um die Plätze drei bis fünf. «Da war das Werder-Spiel deutlich wichtiger.» Drei Schritte sei man zurückgefallen bei jener 0:1-Heimpleite vor einer Woche. Das 2:1 im Uefa-Cup-Hinspiel gegen den FC Fulham war lediglich ein erster Schritt wieder in die richtige Richtung.
Überhaupt finde er, der vor, während und nach der heutigen Partie Seite an Seite mit seinem Bruder und Bayern-Manager Uli ungezählte TV-Interviews geben wird, dass die Spiele gegen den FC Bayern überbewertet werden. Erstaunen beim Fragesteller.
Damit nicht genug, Dieter Hoeneß legt noch einen drauf. Gehe die Mannschaft in München ans Limit, sei er zufrieden, «unabhängig vom Ergebnis».
Doch keine Bange, nichts liegt dem Manager mehr fern, als seiner Mannschaft eine Lizenz zum Verlieren auszustellen. Das Tiefstapeln hat System. Hoeneß weiß wohl, dass nach dem Spitzenspiel an der Isar in diesem Jahr noch drei weitere Aufgaben warten. Am 7. Dezember geht es gegen Wolfsburg, am 15. nach Kaiserslautern, dazwischen liegt das Uefa-Cup-Rückspiel in Fulham (12.). Damit das Team dort erfolgreich abschneidet, bemüht sich Hoeneß, aktuell die Erwartungen zu dämpfen. Erst Mitte Dezember lässt sich sagen, wie die Hertha-Bilanz für die erste Saisonhälfte ausfallen wird. Bis dahin, so das Ansinnen des Managers, soll die Spannkraft reichen.
Wie die Ansprüche intern sind, ließ der Trainer gestern durchblicken. Die Abschlusseinheit war vorbei, Huub Stevens hatte die Wünsche einiger Fans entgegengenommen, die dem Niederländer zum 49. Geburtstag gratuliert hatten. Im Kader stehen die angeschlagenen oder gerade genesenen Marko Rehmer, Joe Simunic und Dick van Burik. Wer heute aufläuft, will er erst nach dem Frühstück entscheiden.
Stevens schaute in die Abenddämmerung und hatte noch einen Geburtstagswunsch: «Ein gutes Resultat in München erkämpfen. Und dann mit Schwung und Selbstbewusstsein die letzten Aufgaben angehen.»