Zum Feiern blieb keine Zeit. Nur vier Stunden nach dem größten Triumph ihrer Dressur-Karriere fuhr Nadine Capellmann auf dem schnellsten Weg zum Flughafen. Ihr Pferd Farbenfroh wollte die Goldmedaillen-Gewinnerin nach dem WM-Sieg und der «Erfüllung eines Lebenstraumes» nicht allein lassen.
Wie schon beim Hinflug zu den Weltreiterspielen in Jerez de la Frontera war die 37-Jährige aus Würselen beim Rückweg die einzige deutsche Reiterin, die mit dem Pferdetransporter flog. «Den Schlaf kann ich später nachholen», sagte die neue Weltmeisterin lachend. Vergessen waren in diesem Moment der ganze Ärger im Vorfeld und das Psycho-Duell mit ihrer Landsfrau Ulla Salzgeber, die nach einer Aufholjagd noch die Bronzemedaille gewann.
Das Warten in den frühen Morgenstunden gab Capellmann Zeit, um zu realisieren, was kurz vor Mitternacht im Stadion Chapin passiert ist. Aus der unsicheren Reiterin, die ihre Nerven und ihr Pferd in den entscheidenden Momenten nie im Griff hatte, war am Sonntag kurz vor Mitternacht ein Siegertyp geworden. Nach Olympia-Gold und zwei Weltmeisterschafts-Siegen mit der Mannschaft gewann Capellmann mit dem zwölfjährigen Westfalen-Wallach erstmals einen großen Einzel-Titel: «Ich kann das noch gar nicht fassen.»
Den Makel ist sie nun los. Capellmann blieb ruhig, ritt sicher und jubelte. Die abschließende Kür war vielleicht nicht die beste ihrer Karriere, aber der zweite Platz in der letzten von drei Teilprüfungen reichte, um mit insgesamt 237,515 Prozentpunkten die Spanierin Beatriz Ferrer-Salat und Beauvalais (234,385) auf Distanz zu halten.
Der Wendepunkt war Aachen: «Da ist Farbenfroh erstmals durchgelaufen.» Bei ihrem Heimatturnier Ende Juni hatte Capellmann die seit zwei Jahren dominierende Weltranglisten-Erste Ulla Salzgeber geschlagen. «Davor sind wir immer noch auf Platz drei oder vier abgerutscht. Aachen hat mir Sicherheit gegeben.» Danach begann das Taktieren, die Konkurrentinnen gingen sich aus dem Weg.
Das Verhältnis der beiden ist, um es vorsichtig auszudrücken, sehr distanziert. «Ulla ist, wie sie ist», sagte Capellmann über die Einzelgängerin im deutschen Team. «Vor Championaten wird es schwierig.» Zu den anderen beiden Mitgliedern der Gold-Equipe, Klaus Husenbeth und Ann-Kathrin Linsenhoff, erklärte sie vielsagend: «Wir drei haben viel Spaß gehabt.»
Für Ulla Salzgeber fand die WM doch noch einen halbwegs versöhnlichen Abschluss. Als Europameisterin, Weltcupsiegerin und mit großen Hoffnungen angereist, fand sich die 44-Jährige aus Bad Wörishofen nach dem Grand Prix Special auf Platz fünf wieder. Aber Salzgeber kämpfte und trieb ihren 14-jährigen Rusty in der Kür zum Sieg, so dass es im Gesamtklassement mit 233,535 Prozentpunkten noch zu Bronze reichte. Das war sicher viel schlechter als vor der WM erhofft, aber besser, als mit leeren Händen dazustehen.
Welche Rolle das Fieber spielte, das Rusty bei der Ankunft in Jerez hatte, konnte die Reiterin selbst nicht sagen. «Heute hat er jedem gezeigt, was er kann», lobte sie ihr Pferd nach der Kür. «Ich habe am Anfang gleich gemerkt, dass er gut geht, da habe ich zu kämpfen begonnen.» dpa