Tommy Haas bewies bei seinem Auftaktmatch bei den US Open einmal mehr, dass er der Mann ist, bei dem Nervenkitzel und ein aberwitziges Tennis-Drehbuch längst im Eintrittspreis inklusive sind.
Selbst an seinen mittelmäßigen Tagen liefert Tommy Haas noch immer eine Show voll fiebriger Spannung, bei der bis zur letzten Sekunde gezittert, gebangt und gehofft werden darf - so wie beim verrückten Einstieg in die US Open 2002 im Louis-Armstrong-Stadion zu Flushing Meadow.
Abgeschrieben nach einem fatalen 0:3-Rückstand im fünften Satz, schaffte der deutsche Spitzenprofi mit Herz, Leidenschaft und Willenskraft doch noch eine Wende und triumphierte schließlich nach 3:23 Stunden. Doch bevor der 7:6 (7:1), 3:6, 3:6, 6:4 und 7:5-Sieg gegen den Spanier David Sanchez feststand, trieb es Haas auf die Spitze. Bei 6:5- und 40:15-Führung im entscheidenden Satz produzierte er drei Doppelfehler, wehrte dann Sanchez' Möglichkeit zum Spielausgleich ab und holte sich das gesamte Match.«Ich bin kein Typ, der so einfach aufgibt», sagte Haas, der nun auf den Tschechen Karol Kucera trifft, am Ende eines Tages, an dem er von vielen seiner sportlichen Qualitäten, zum Glück aber nicht von seiner unbeugsamen Moral verlassen war. «Es war ein hässliches Spiel. Aber man muss auch hässlich gewinnen können.»
Selbst neue alte Schmerzen in Ellenbogen und Schulter des rechten Schlagarms und Krämpfe in beiden Oberschenkeln konnten Haas nicht bei einer Aufholjagd stoppen. «Dieser grandiose Bursche ist einfach nicht unterzukriegen. Deutschland kann stolz auf Tommy sein», sprach tränengerührt Nick Bollettieri, der Freund und Trainer von Haas. In den Katakomben der Arena fielen sich der erschöpfte Haas und sein Coach David Ayme nach dem Happyend in die Arme und schrieen sich mit Freudengeheul die Anspannung aus dem Leib.
Vergessen war zu diesem Zeitpunkt auch der Ärger über die US-Open-Offiziellen, die Haas einen Auftritt in einem ärmellosen Shirt verwehrt hatten. Oberschiedsrichter Brian Earley hatte den Kleiderwechsel nach dem Einschlagen veranlasst. Mehr als das erniedrigende Umziehen auf offener Grand-Slam-Bühne beschäftigte Haas aber später sein sportlicher Widerstandsgeist. «Ich stand mit anderthalb Beinen über dem Abgrund, aber ich habe auch in höchster Not immer an mich geglaubt», sagte der unermüdliche Rackerer. «Spitzenspieler erkennt man daran, dass sie wie Haas auch an schlechten Tagen noch gewinnen können», befand anerkennend Australiens früherer Weltklassemann Tony Roche, einst auch Trainer von Ivan Lendl.
Ähnlich spannend, wenn auch nicht so langwierig war auch das erste Match von Alexander Popp verlaufen: Der zwei Meter lange Heidelberger überstand cool einen Tiebreak-Krimi auf Court acht gegen den Schweden Andreas Vinciguerra und preschte schließlich mit einem 7:6 (7:4), 7:6 (12:10), 6:2-Sieg in die zweite Runde vor. Dort erwartet den Wimbledon-Viertelfinalisten des Jahres 2000, der in den Monaten nach seinem größten Tennis-Coup wegen einer Viruserkrankung (Pfeiffersches Drüsenfieber) beinahe seinen Sport aufgeben musste, nun der Armenier Sargis Sargsian. Popp ist guten Mutes, noch ein bisschen länger in New York bleiben zu können: «Da traue ich mir schon einen Sieg zu.»