Eine Überfliegerin und viele Sorgenkinder

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Carsten Harms

Einen Monat vor der Leichtathletik-EM in München gibt es bei den Deutschen nur wenige Medaillenanwärter. Seit gestern ist man noch um eine Hoffnung ärmer, nachdem Diskus-Weltmeister Lars Riedel seinen EM-Start absagte.

Zum Abschluss wurde es noch einmal richtig laut. Die 18 000 Zuschauer standen auf, applaudierten und feierten eine Athletin, die vor den deutschen Leichtathletik-Meisterschaften im Wattenscheider Lohrheide-Stadion nahezu unbekannt war. Seit Sonntag aber ist Annika Becker, die fröhliche 20-Jährige mit den roten Haaren aus Bebra, stolze Inhaberin des Europarekordes im Stabhochsprung.

Die 4,77 Meter gelangen ihr sogar im ersten Versuch. Gleich um 21 Zentimeter steigerte Becker ihre persönliche Bestleistung, entthronte damit die lange als unanfechtbar geltende Europarekordhalterin Swetlana Feofanowa aus Russland.

Rüdiger Nickel, der Vizepräsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), bezeichnete die unerwartete Bestmarke euphorisch als «Knaller». Mit Becker und der vorherigen deutschen Rekordhalterin Yvonne Buschbaum aus Stuttgart (Zweite mit 4,50 m) schickt der DLV nun gleich zwei Medaillenanwärterinnen ins Münchner Olympiastadion zur EM vom 6. bis zum 11. August.

Ähnliches gilt für die männlichen Stabhochspringer Lars Börgeling (Meister) und Tim Lobinger. Auch die Speerwerferinnen Dörthe Friedrich und Steffi Nerius stehen nach Saisonbestleistungen in Wattenscheid auf Rang zwei und drei der europäischen Rangliste. Neue Hoffnungen wecken zudem Weitsprung-Olympiasiegerin Heike Drechsler («Die Sicherheit kommt ganz langsam wieder») und der von seiner fünften Ellenbogen-Operation genesene Speerwerfer Raymond Hecht. Realistisch betrachtet können derzeit aber nur 400-Meter-Meister Ingo Schultz und Siebenkämpferin Sabine Braun als Kandidaten für EM-Gold bezeichnet werden.

Große Sorgen bereiten dem DLV hingegen diverse Medaillengewinner vergangener Jahre: Diskuswerfer Lars Riedel entschied sich gestern zum Abbruch der Saison. Weniger seine Gesundheit ist dafür der Grund als die ungeklärte Scheidungsproblematik zwischen ihm und seiner Frau. 400-Meter-Europameisterin Grit Breuer startete nach Achillessehnen-Problemen nur in der Magdeburger 4 x 400-m-Staffel - daher darf das deutsche Quartett in München kaum mit einer Medaille rechnen.

800-Meter-Olympiasieger Nils Schumann ließ sich auf der Zielgeraden von Rene Herms überholen. Und auch für Damian Kallabis ist über 3000 Meter Hindernis nach der Wattenscheider Niederlage gegen Filmon Ghirmai die EM-Titelverteidigung wohl aussichtslos.

Ebenso schwach präsentiert sich Hochsprung-Weltmeister Martin Buß. Seine Saisonbestleistung (2,25 m) liegt noch immer drei Zentimeter unter der EM-Norm. Noch weiter entfernt von internationaler Klasse sind die Dreispringerinnen, von denen wohl keine nach München fährt. Zu diesem Thema fällt selbst Rüdiger Nickel nur noch ein Wort ein: «Katastrophe».