Der Tag der Audienz war blendend gewählt. Zwei Tage vor dem Prolog der Tour de France in Luxemburg empfing der Radprofi Lance Armstrong die Medienschaffenden - am 4. Juli, dem Independance Day. Was kann einem Amerikaner Besseres passieren, als sich am Nationalfeiertag seines Landes staatstragend den Berichterstattern aus aller Welt anzuvertrauen?
Im Luxemburger Randbezirk Kirchberg war sich der 30-Jährige der Tragweite der Symbolik durchaus bewusst. In der schmucklosen Messehalle der Hauptstadt bemühte der Texaner den Bezug zur Katastrophe vom 11. September 2001: «Dieser 4. Juli ist ein spezieller Tag für alle US-Bürger, dessen Stellenwert im Anschluss an die Ereignisse im vergangenen Jahr ein anderer ist als vorher.»
Vor dem riesigen Rudel von Mikrofonen wirkt er so souverän wie ein wahrer Staatsmann. Und für die Franzosen ist er das auch in gewissem Sinne. Armstrong scheint die einzig verlässliche Größe beim alljährlichen Spektakel auf zwei Rädern. Ehrfürchtig raunt die nationale Presse vom «Boss». Die Tour de France, das stand für Branchenkenner bereits vor dem gestrigen Prolog fest, gerät in diesem Jahr zur Tour de Lance.
In den Jahren 1999, 2000 und 2001 hat der vom Hodenkrebs geheilte Ausnahmefahrer aus Austin in Texas die große Schleife gewonnen. Wer all sein Geld auf einen neuerlichen Triumph Lance Armstrongs wettet, legt sein Vermögen ähnlich verwegen an wie auf dem guten alten Sparbuch. Marcel Wüst, Ex-Profi und Manager des deutschen Rennstalls Coast, behauptet gar: «Nur ein Fieberschub, ein Sturz oder ein rabenschwarzer Tag könnten Armstrong am Sieg hindern.»
Der amerikanische Titelverteidiger weiß, was alle von ihm erwarten. Klar, da muss er die immer bedrängenden Prognosen stets sehr elegant relativieren. «Der Tag, an dem ich im Gefühl des sicheren Sieges locker und gelöst in die Tour hineingehe», doziert er voller Pathos, «ist der Tag, an dem ich alles verliere.»
Zumal Jean-Marie Leblanc schließlich konsequent gegen ihn arbeitet. Der Tour-Direktor der großen Schinderei auf Rädern ließe sich ja, so Armstrong mit gespielter Empörung, jedes Jahr neue Schikanen einfallen. «Der Organisator», unkt der Tour-Favorit, «versucht stets, es dem Vorjahressieger schwerer zu machen.»
Dafür schonen die Konkurrenten Armstrong umso mehr. Marco Pantani stoppte der Staatsanwalt, Jan Ullrich eine Knieverletzung, bevor seine Dopingprobe auch noch einen positiven Befund ergab. Zu den neuesten Eskapaden des deutschen Dauerrivalen wollte sich Armstrong lieber nicht erklären. Dafür jammerte Team-Telekom-Manager Walter Godefroot im Fachblatt «Radsport» angesichts der Misere um seinen abwesenden einstigen Musterschüler: «Wer soll Lance schlagen?»
Sein prominentester Sprinter ist da ganz anderer Meinung. «Sonst hatte Lance mit Jan, Pantani oder Zülle klare Orientierungspunkte», sagt Telekom-Fahrer Erik Zabel, «die fehlen ihm nun, deshalb wird es für ihn nicht ganz einfach.» Abwarten, spätestens, wenn die Luft dünner und die Straßen steiler werden auf der Tour de France, wird Lance Armstrong sein wahres Gesicht zeigen.
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