Angriffsrecht für die Berlin Adler. Die Offensiv-Spieler laufen aufs Feld. Wanja Müller, der ein schwarzes Poloshirt mit Adler-Emblem trägt, läuft nicht mit. Er bleibt an der Seitenlinie stehen, um die Spieler abzuklatschen und anzufeuern. Statt des Leder-Eis hat er einen Stift in der Hand und schreibt etwas in seinen Notizblock.
Die Szene aus einem Bundesligaspiel zeigt: Müller ist noch mit vollem Engagement dabei. Aber nicht mehr mittendrin. Er war der Kopf der Mannschaft, der Quarterback des American-Football-Teams der Adler. Nun ist er die rechte Hand von Coach Dean Cokinos, trainiert die wichtigen Mannschaftsteile Quarterback und Wide Receiver. Statt Spielzüge einzuleiten, entwirft er sie auf dem Papier.
Es hätte seine Saison werden können. Nach vier Jahren sind die Adler wieder erstklassig, Müller sollte sie als Leistungsträger führen. «Das war eine Riesenchance für mich», sagt er - und hatte keine Möglichkeit, sie zu nutzen. Das erste Saisonspiel gegen die Cologne Crocodiles war sein letztes und wahrscheinlich das Karriereende. Mit 24 Jahren.
Dabei schien alles gar nicht so schlimm zu sein. Ein Gegenspieler stürzte auf Müller, dessen Kopf wurde auf das Brustbein gedrückt und die Halswirbelsäule stark überstreckt. «Es hat ein bisschen weh getan. Damit war es für mich abgehakt.» Er spielte weiter, vergaß die Sache: «Ich bin zunächst nicht zum Arzt gegangen.»
Als die Nackenschmerzen blieben, ließ er sich doch durchchecken. Die Diagnose war niederschmetternd. Drei Bandscheiben wurden in Mitleidenschaft gezogen. Bei einem weiteren Zusammenprall besteht die Gefahr einer Nervenverletzung, im schlimmsten Falle würde eine Querschnittslähmung drohen. «Ich bin jetzt schmerzfrei und kann mich normal bewegen. Aber der Arzt hat mir von Kontaktsportarten abgeraten», erzählt Müller, der täglich zur Physiotherapie geht. An Football ist vorerst nicht zu denken.
Eine Rückkehr auf das 100 mal 53 Yards große Rechteck, auf dem er sich 13 Jahre wohl fühlte, erscheint unmöglich. Müller sieht es ähnlich wie James Bond: «Man soll nie nie sagen», aber viel Hoffnung hat er nicht. Zu groß wären die Risiken in einem solch sensiblem Bereich wie der Wirbelsäulengegend. Eine weitere Untersuchung im Winter bringt letzte Klarheit.
Natürlich ist Müller deprimiert, resigniert hat er nicht. «Ich bin froh, dass ich so lange spielen konnte. Andere verletzen sich viel früher schwer.» Er bleibt Teil der Mannschaft und ist auch beim Training dabei. Nur in anderer Funktion als früher. «Wenn es nach den Spielen heißt: gut gemacht, Jungs, dann tut es schon weh, nicht mehr spielen zu können», gibt er zu.
Headcoach Cokinos überträgt Müller viel Verantwortung. Denn der verletzte Quarterback ist kein Anfänger an der Linie. Seit zwei Jahren trainiert er die in der Frauen-Bundesliga dominierenden Adler Girls. «Außerdem habe ich als Spieler viel Erfahrung gesammelt.» Wenn Männer und Frauen an einem Wochenende spielen, ist er die ganze Woche mit Football beschäftigt. Dazu arbeitet Müller bei einer Werbeagentur. «Es hilft mir, so ausgefüllt zu sein. Anfangs war ich in einem kleinen Loch.»
Irgendwann wollte der Berliner das Leder-Ei gegen den Notizblock, den Platz auf dem Feld gegen den des Coaches an der Seite tauschen. Aber nicht mit 24. Es klingt Wehmut durch, wenn er sagt: «Ich würde gerne noch zehn Jahre spielen.»