Edson ist elf Jahre alt, zu klein für sein Alter, aber groß am Ball. Das sagt die Mannschaft, die sich jeden Morgen bei den Fußballtoren trifft. Am Strand von Copacabana. Edson steigt herab aus der Favela, aus den Slums, am Hang des Morro de São João. Manchmal schläft er auch am Strand. Familie? Schule? Edson lacht, er lupft den Ball in seine Arme, streckt ihn vor wie einen Schatz und ruft: «Futebol!»
Dem Mythos nach begründen Jungs wie Edson die Gewissheit seines Landes, eigentlich seit 52 Jahren Weltmeister zu sein. Nirgendwo auf dieser Welt sind so viele Talente unterwegs wie in den Städten Rio, São Paulo, Salvador, Pôrto Alegre. Fußball überspielt die Brüche zwischen arm und reich und zwischen schwarz und weiß. Daher der Fanatismus eines ganzen Landes. Deshalb nähme niemand Fußball ernster als die Kinder der Favelas.
Edson lacht, sein Held heißt Ronaldinho. Er straft die Deutschen Lügen, die das Spiel der Brasilianer brotlos und eigensinnig nennen. Er grätscht am Strand die gegnerischen Stürmer ab. Er sieht, wenn jemand besser steht als er. Seine Mannschaft siegt mit 8:1 - ein Trainer wie Scolari würde Edson mögen.
Es geht nicht nur darum, den Favelas zu entfliehen. Es geht um die Stellung in der Gruppe. Edson, dieser kleine Kerl, genießt es, Anführer zu sein. Hier blüht der Strand- und Straßenfußball noch als Breitensport. Das Training ist das Spiel, wo Edson noch von Waldläufen verschont bleibt. Von notorisch missgestimmten Trainern und vom Fahnenstangenslalom. Es ist kaum wahrscheinlich, dass sich Edson irgendwann vom Strand weg in der Profiliga wiederfindet.
Auch wenn er erzählt, dass ihm Reimundo das versprochen hat. Reimundo habe Kontakte und viel Geld. Reimundo, das ist zu vermuten, ist einer der kleinen Herrscher der Favela. Ein Drogenhändler, der mehr Macht vor Ort besitzt als jeder städtische Verwalter. Manchmal schafft es ein Reimundo wirklich, einen seiner Schützlinge an richtige Vereine zu verkaufen.
Edson streichelt seinen Ball, die Schwarzmarktvariante des WM-Balls, mit der rechten Sohle auf den linken Spann, und befördert ihn in den Nacken. Und lacht.