Der Rudi-Riegel

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Berries Bossmann und Alexander Steudel

Der Respekt vor der eigenen Frau scheint für einen Moment größer zu sein als der vor dem Gegner. Als Rudi Völler am Freitagmorgen vor dem Abflug der deutschen Nationalmannschaft von Seoul nach Yokohama von einem italienischen TV-Reporter gebeten wird, ein paar Worte auf Italienisch zum WM-Finale am Sonntag (13 Uhr, ZDF und Premiere) gegen Brasilien zu sagen, entschuldigt sich der Teamchef grinsend bei den deutschen Journalisten: «Ich bin mit einer Römerin verheiratet, ich muss antworten, sonst bekomme ich Probleme mit meiner Frau.»

Seine längere Ausführung weckt Verdacht. Ob er etwa die Aufstellung verraten habe, wird er gefragt. «Ich habe nur ein paar Freunde und Bekannte gegrüßt», beruhigt Völler, der früher bei AS Rom stürmte. Erst beim Abschlusstraining heute Abend will er die Spieler informieren, die auflaufen, «die meisten wissen es ohnehin».

Tatsächlich ist die Aufstellung kein Geheimnis mehr, fraglich ist allenfalls, wer den gesperrten Michael Ballack im offensiven Mittelfeld ersetzen wird. Zwei Kandidaten kommen für diese Aufgabe in Frage: Dietmar Hamann und Bernd Schneider. Doch lassen Völlers Erklärungen darauf schließen, dass Hamann weiterhin defensiv agieren und im Verbund mit Jens Jeremies, der für Ballack in die Startelf rückt, den Spielfluss der Brasilianer unterbinden soll.

«Didi ist ein großer Stratege vor der Abwehr», lobt der Teamchef den Mann vom FC Liverpool. Es sei schon ein Ritual, dass vor dem Anpfiff als letzter Satz stets Hamanns Anweisung aus dem Hintergrund zu hören sei: «Ordnung halten!» Ein bisschen leise zwar, «aber er hält den Laden zusammen». Was gegen die offensivstarken Brasilianer auch nötig sein wird.

«Wir dürfen sie nicht ins Rollen kommen lassen, sondern müssen mit viel Ordnung und Disziplin dagegen halten», fordert Völler. Für zusätzliche Motivation sorgt eine Prämie von jeweils 92 000 Euro für den vierten Titelgewinn nach 1954, 1974 und 1990.

«In so einer Partie ist das Mittelfeld ein ganz wichtiges Gebiet, da werden Spiele gewonnen oder verloren», sagt Hamann. Er warnt: «Bloß nicht früh in Rückstand geraten und nicht den offenen Schlagabtausch suchen. Die Null muss stehen, denn als die Türken im Halbfinale nach dem Rückstand aufmachen mussten, wurde es sehr gefährlich vor ihrem Tor.» So sieht es auch Völler: «Wenn wir die Defensive nach einem Rückstand zu früh entblößen, kann es bitter für uns enden.»

Das verstärkt die Vermutung, dass sich die Deutschen gegen den viermaligen Weltmeister in ihrer Hälfte einigeln und mit den schnellen Stürmern Klose und Oliver Neuville nur aufs Kontern verlegen werden. Abwehrchef Carsten Ramelow bestätigt indirekt: «Es wird für Brasilien sehr schwer, uns zu schlagen. Wir haben erst ein Gegentor bekommen und würden es am liebsten dabei belassen.» Was vor allem von der Form von Oliver Kahn abhängt. Bisher war er der überragende Torhüter des Turniers. «Wir haben großes Vertrauen zu Olli. Wenn ein Stürmer mal durchkommt, steht da hinten einer, der den Ball hält», sagt Hamann.

Der Leverkusener Bernd Schneider weiß auf Grund seiner Erfahrungen im Finale der Champions League, dass Angriffe über die rechte Seite erfolgversprechend sind. Schneider: «Da sind die Brasilianer anfällig, Roberto Carlos ist in der Defensive anfällig.»

Wer aus seinem Team zu den Weltklassespielern gehöre, wird Völler von einem ausländischen Journalisten gefragt. «Oliver Kahn», antwortet der Teamchef, aber auch Spieler wie Hamann, Klose, Michael Ballack und Christoph Metzelder hätten sich bei der WM in den Vordergrund geschoben. Der erst 21-jährige Metzelder, der inzwischen sogar von Real Madrid umworben wird, spricht nicht von Lampenfieber bei seiner größten Herausforderung: «Da hat man den Tunnelblick, wenn man rausgeht.» Eher nüchtern sieht er das bisherige Turnier. «Das ist mein Naturell, ich bin nicht so überschwänglich», erklärt der Dortmunder.

«Was die Qualität einzelner Spieler angeht, haben die Brasilianer aber viel mehr Weltklassespieler», gibt Völler zu. Was indes auch zum Vorteil für die Deutschen werden könnte. «Kaum ein Brasilianer ist uns unbekannt, wir kennen alle aus der Champions League und der Bundesliga. Es gibt keine großen Geheimnisse mehr», sagt Völler. Profitieren könnte vor allem Neuville, der auf seinen Leverkusener Vereinskollegen Lucio trifft. Der Abwehrspieler leistete sich im Laufe der Saison und bei der WM bereits einige Fehler, die zu Gegentoren führten.

Ingesamt seien die Brasilianer zwar Favorit, «aber sie haben keine Übermannschaft», findet Oliver Bierhoff, der nach dem Finale seine Karriere beenden wird: «Wir sind physisch stärker und können 90 Minuten Tempo gehen.» Forsche Töne schlägt auch Christian Ziege an: «Wenn sie uns nicht kennen, lernen sie uns am Sonntag kennen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie sich wünschen werden, uns nie kennen gelernt zu haben.» Den großen Vorteil für die DFB-Auswahl, der viele ein frühes WM-Aus prophezeit hatten, beschreibt Marco Bode: «Uns kann nichts mehr passieren.»