Wein-Ball: Frucht bei Senegal, Ronaldo moussierend und der Deutsche im Abgang zu kurz

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Die Wahrnehmung der deutschen Mannschaft spaltet die Fußball-Gemeinde. Ästheten und Patrioten stehen sich unversöhnlich gegenüber. Der Pragmatismus der kleinen Schritte führt zum Sieg und zu harter Kritik, die Erfolge schmecken ein wenig bitter, angeblich billig erstanden. Als hätten die Deutschen jemals auf die B-Note für den künstlerischen Eindruck geachtet. Trinken wir ein Glas Wein und denken nach.

Auf der Ginza, Tokios großer Einkaufsstraße, gibt es ein Geschäft mit französischem Wein. Zwischen den Regalen stehen leere Flaschen mit Zetteln, die auf japanisch und englisch vermerken, wer den betreffenden Wein getrunken hat und wann. Catherine Deneuve genoss vor fünf Jahren einen St. Emilion Grand Cru von 1985; damals war Michel Platini Frankreichs Star. Charlie Chaplin trank 1964 einen Premier Cru des Listrac von 1929, dem letzten Jahr ohne Fußball-WM. Orson Welles, der alte Zecher, leerte 1952 eine Flasche Calvados von 1921, alter Stoff, da wurde noch auf ganz groben Plätzen gespielt. Rubinstein, Sinatra, George Lucas, Isabelle Adjani, alle tranken sie französischen Wein in Tokio. Regisseur Francis Ford Coppola, der sein Geld selbst mit Wein verdient, goss sich 1990, kurz vor der für Deutschland so erfreulichen WM einen Chateau Montrose von 1970 ins Glas. Und Pelé!

Alter Wein löst Erinnerungen aus wie die auf dem Dachboden abgelegten Panini-Bildchen in speckigen Fußball-Alben. Niemand würde hier abfällig «Diese Flaschen» ausrufen wie es Millionen Fußballkenner und ein paar Journalisten tun. Man müsste den Geist des Fußballs auf Flaschen ziehen können. «Ah, die Freistöße von Beckham haben komplexe Struktur», würde der Kicker-Trinker ausrufen. Der Jahrgang Maradona 1986 wäre unbezahlbar, dicht gefolgt von Netzer 1972 und Zidane 1998.

Die Prüfung des WM-Jahrgangs 2002 ist fast abgeschlossen. Viel Frucht bei Senegal. Der brasilianische Sturm mit Ronaldo, Ronaldinho, Rivaldo betört mit moussierender Note. Die aktuellen Argentinier und Franzosen kämen erst gar nicht ins Regal: Enttäuschend viel Kork im Fass. Italien hat die Ernte selbst sauer werden lassen. Die Leistung der Deutschen erscheint im Abgang etwas zu kurz, aber eine Lagerung wird Wunder bewirken. Denn das lässt sich von altem Wein lernen: mit der Milde der Erinnerung überzogen, schmeckt die Süße doppelt. Die Ästheten sollten sich zurücklehnen.

So ein Fußball-Keller wäre eine feine Sache. Dann und wann schaute der Wein-Kritiker Trapattoni vorbei, prüfte die Flaschen und riefe bei ausgetrunkenen Weinen wie Zidane 1998 sowie Kahn 2002: «Ist stark wie eine Flasche leer.»