Hoffen auf eine bessere Zukunft

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Günter Bork

sid Yokohama - Ein frustriertes Volk hofft an den Fußball als Basis für eine bessere Zukunft. Zumindest die Zeit der Weltmeisterschaft soll den 36,6 Millionen von sozialen und wirtschaftlichen Problemen geplagten Argentiniern Glücksmomente vermitteln.

«Ich kann den Menschen daheim kein Essen auf den Tisch zaubern, indem wir Nigeria schlagen oder fünf Spiele in Folge gewinnen. Aber wir wissen, was man von uns erwartet», erklärte Superstar Juan Sebastian Veron vom englischen Meister Manchester United vor dem Auftaktspiel am Sonntag in Premiere) in Ibaraki gegen Nigeria.

Die meisten der «Gauchos» stehen bei großen europäischen Klubs unter Vertrag und sind längst Millionäre, gleichwohl sind sie sich ihrer moralischen Pflicht bewusst. Denn in ihrer Heimat sind die Gehälter auf den tiefsten Stand seit 50 Jahren gestürzt, haben ihre Landsleute in den vergangenen vier Jahren der Rezession eine durchschnittliche Inflationsrate von 21 Prozent zu verkraften. Allein die Preise für Grundnahrungsmittel stiegen in diesem Zeitraum um 35 Prozent.

Alarmierende Zahlen, die viele Argentinier an den Rand der Existenz brachten. «Wir können dafür sorgen, dass die Fans für kurze Zeit ihre Sorgen vergessen. Sollten wir den Titel gewinnen, könnte das sogar für einen Monat sein. Fußball ist in Argentinien sehr wichtig, aber noch wichtiger ist, dass die Politiker richtige Entscheidungen treffen», sagt Torjäger Hernan Crespo, Großverdiener beim italienischen Renommierklub Lazio Rom.

Die argentinischen Stars, die sich im japanischen Naraha auf ihr erste Gruppenspiel vorbereiten, wissen, dass sie das wirtschaftlich Dilemma nicht lösen, aber zumindest das Vertrauen der gebeutelten Bevölkerung in ihr Land wieder stärken können.

Bei jeder Gelegenheit demonstrieren Veron, Gabriel Batistuta und Co. Patriotismus und Solidarität. «Wir verfolgen die Nachrichten aus unserem Land auch in unserem Quartier. Das ist gut, weil es zusammenschweißt und die Mannschaft den Bezug zur Realität nicht verliert», erklärt Veron. Die sicherlich vorbildliche Einstellung seiner WM-Stars sieht Trainer Marcelo Bielso aber auch mit gemischten Gefühlen. «Die Spieler setzen sich selbst unter einen gehörigen Druck, die Erwartungen sind ohnehin hoch genug», sagt der Coach, der seit seinem Amtsantritt zum Volkshelden avanciert ist. Noch in bester Erinnerung sind die Bilder von den Straßenfesten in Buenos Aires und anderen großen Städten nach der souveränen WM-Qualifikation.

Mit stolz geschwellter Brust reisten die «Gauchos» zum Turnier in Richtung Asien. Nie zuvor hatte ein Team in Südamerika derart überzeugend ein Ticket zur WM gelöst. In den 18 Spielen kassierte der Weltmeister von 1978 und 1986 bei vier Unentschieden nur eine Niederlage, führte die Tabelle am Ende mit 43 Punkten an, zwölf vor Ekuador und 13 vor Brasilien. Gute Voraussetzungen für den Start in ihr insgesamt 13. Weltmeisterschafts-Turnier.

Doch keine gute Kunde kommt aus dem Trainingslager: Man fürchtete zum Auftakt gegen Nigeria auf Altstar Claudio Caniggia verzichten zu müssen. Der Weltmeisterschafts-Teilnehmer von 1990 und 1994 leidet immer noch an einer komplizierten und schmerzhaften Knieverletzung, die er sich beim schottischen Cupfinale mit den Glasgow Rangers zugezogen hatte. Doch inzwischen gab es Entwarnung.