Paris - Kaum taucht Anna Kurnikowa auf, lacht in Paris die Sonne. Drei Tage zermürbten Dauerregen und Kälte die Tennisfans in der Hauptstadt, nun ist der Himmel königsblau. Vor Court Nummer zwei in Roland Garros geht bereits um 10.30 Uhr nichts mehr, mehrere hundert Unentwegte begehren vergeblich um Einlass. Dabei beginnt die Partie zwischen der Russin und der Australierin Christina Wheeler erst um elf. 1463 Filzballfreunde fasst das viertgrößte Stadion der Anlage, alle Plätze sind längst besetzt. Das Auftaktmatch der blonden Primadonna ist für die Getreuen immer besonders wichtig. Ihr wankelmütiges Spiel ist berüchtigt. Daher weiß man nie, ob der erste Auftritt beim jeweiligen Turnier nicht gleich der letzte ist.
Der ersehnte Moment: Kurnikowa marschiert ein. Beim Einspielen trägt sei ein schneeweißes Mäntelchen mit gelbem Revers und Kapuze. Als Wheeler dem Publikum vorgestellt wird, folgt enden wollender Applaus. Bei Kurnikowa branden hingegen Beifallstürme auf. Währen sie ihre Spielkleidung freilegt, gibt es kein Halten mehr. Ein knallenges gelbes Oberteil, bauchfrei zudem, über einem knappen weißen Rock. Die Pariser johlen. In einer Stadt, wo das entzückte «Oh là là» zum allgemeinen Verständigungskodex zählt, kein Wunder.
Ähnlich vorhersehbar ist die Spielweise der 20-Jährigen. Rasch verliert sie ihren Aufschlag, und auch sonst glückt sehr wenig. Einen Aufschlag Wheelers returniert Kurnikowa ziemlich unglücklich: Der Ball schießt wie eine Rakete in den Himmel und landet mitten auf der Avenue de la Porte d'Auteuil hinter dem Stadion. Zum Glück fuhr gerade keine Auto vorbei. Der erste Satz geht mit 6:4 an Wheeler, am Himmel bilden sich Wölkchen. Den Kurnikowa-Verehrern schwant Ungemach.
Die Russen-Lady aus Moskau hat auch im sechsten Jahr ihres Profitums nicht wirklich viel vorzuweisen. Turniersiege: Fehlanzeige. Dennoch verwöhnt die Branche sie bei ihren Gastspielen wie kaum eine Zweite. «Anna bekommt hier eine Limousine, da ein Paar Diamant-Ohrringe, dort ein Haus», wunderte sich ihr früherer Trainer Eric van Harpen einst. Verstört stellte er fest: «Überall wird sie wie eine kleine Königin behandelt.»
Allein: Der 20 Jahre alten Gegnerin geht die majestätische Sonderbehandlung an diesem Mittwoch ab. Ziemlich respektlos scheucht sie die Beauty über die rote Asche. Kurnikowa bleibt nichts erspart. Bei Wheelers Spielball zum 3:3 verliert sie bei einer heftigen Vorhand aus vollem Lauf den Halt. Kurnikowa landet krachend auf dem Hintern, ihre Rückseite ist rot paniert. Und der rechte Mittelfinger ist ein bisschen aufgeschürft. Grund genug, eine Verletzungspause einzuberufen.
Fortan läuft nichts mehr. Kurnikowa verliert die folgenden drei Spiele, somit auch das Match. Die French Open sind für die Blondine nach einer Stunde und 16 Minuten passé.
Selbst nach Spielschluss wird der Unterschied zu erfolgreichen Kollegen deutlich. Der gestern siegreiche Korbacher Rainer Schüttler (7:6, 2:6, 7:6, 6:1 gegen den Italiener Stefano Galvani) oder die ebenfalls reüssierende Deutsche Jana Kandarr (6:3, 6:0 gegen die Französin Laurence Andretto) müssen sich im beengten Interview-Raum 2 den Reportern stellen. Kurnikowa empfängt die Medienschaffenden am Nachmittag dagegen im Hauptsaal des Pressezentrums - mit einer halben Stunde Verspätung.
Die erfolglose Aktrice trägt nun schwarz und muss über gefälschte Nacktfotos im Herrenmagazin «Penthouse» plaudern. Man hat den Eindruck, dass es bei Anna Kurnikowa auf und neben dem Platz immer seltener um Tennis geht. Die 54. der Weltrangliste will dennoch zurück unter die besten Zehn der Welt.
«Wenn ich hart arbeite, gelingt mir das», sagt sie. Irgendwie scheint ihr das niemand zu glauben. Die Show ist vorbei, Anna Kurnikowa flüchtet. Und am Himmel über Paris bildet sich Quellbewölkung.