Rückkehr ins Rampenlicht

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Thorsten Jungholt

Seoul - Lange, sehr lange, hatte Youri Djorkaeff entbehren müssen, im Mittelpunkt zu stehen.

Beim 1. FC Kaiserslautern war der 34 Jahre alte Mittelfeldspieler am Ende nicht mal mehr gut genug für die Ersatzbank. Nur mit viel Glück fand er im Februar, nach Monaten der Demütigungen durch Teamchef Andreas Brehme, mit den abstiegsbedrohten Bolton Wanderers einen englischen Provinzklub, der ihn in der Pfalz auslöste und endlich wieder Fußball spielen ließ. Und jetzt dies.

Zwei Tage vor dem Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft zwischen Titelverteidiger Frankreich und Turnier-Debütant Senegal morgen im neuen WM-Stadion von Seoul (13. 30 Uhr/ MEZ) reißen sich wieder alle um Djorkaeff. Als er gemeinsam mit Bixente Lizarazu und Patrick Vieira zu einer Pressekonferenz im Trainingscamp «LG Champions Park» in Guri erscheint, stürzen sich die meisten Journalisten auf den kleinen Mann (1,79 Meter) mit der sanften Stimme, der die wieder erlangte Aufmerksamkeit spürbar genießt.

Ausgerechnet Djorkaeff, der in den zurückliegenden Tests gegen Belgien und Südkorea nicht sonderlich auffiel, soll beim ersten ernsthaften Auftritt des Welt- und Europameisters nach zwei Jahren ohne Pflichtspiel den großen Spielmacher ersetzen.

Superstar Zinedine Zidane fällt mit einer Muskelverletzung im Oberschenkel aus, und Trainer Roger Lemerre hält Djorkaeff für einen würdigen Vertreter: «Er ist wieder in einer physischen und psychischen Verfassung, die es ihm erlaubt, in die Schuhe von Zidane zu steigen.» Noch legt sich Lemerre zwar nicht fest, hält sich auch die Optionen Christophe Dugarry und Johan Micoud offen.

Doch das Erscheinen Djorkaeffs beim Pressetermin zeigt, wer der wirkliche Favorit des Trainers bei der Besetzung der Vakanz im kreativen Mittelfeld ist.

Lemerre hatte Djorkaeff nie abgeschrieben, ihm noch im Januar, als ein Ende des Streits mit Brehme noch keineswegs abzusehen war, in einem langen Telefongespräch Mut gemacht. «Er hat mir versichert, dass ich auf jeden Fall bei der WM dabei sein werde. Ich habe selbst eigentlich nie daran gezweifelt. Für mich war die Frage nie, ob ich zur WM fahre, sondern nur in welcher Form. Ich brauchte wieder Spielpraxis», erzählt Djorkaeff.

Als er die in Bolton bekam, war seine Nominierung nur noch Formsache: «Der Trainer weiß, dass wir in den letzten vier Jahren zu einer verschworenen Einheit geworden sind, die man nicht ohne Not auseinander reißt». Auf diese Gemeinschaft setzt er auch bei der Vertretung Zidanes. «Wirklich ersetzen kann ihn niemand, es gibt keinen anderen Spieler wie ihn auf der Welt», sagte Djorkaeff, «aber ich werde mit den anderen mein Bestes versuchen.»

Bixente Lizarazu sieht die Lage noch etwas entspannter. «Wir haben 22 gute Spieler. Zinedine ist natürlich wichtig für uns, aber wir können auch ohne ihn Matches gewinnen.» Den Nachweis dieser Behauptung blieben die Franzosen in den vergangenen Monaten jedoch schuldig: Von den letzten sechs Niederlagen kamen vier ohne Mitwirken Zidanes zu Stande.

Trotz der selbstbewussten Äußerungen der Spieler und der insgesamt nach wie vor beeindruckenden Bilanz von nur acht Niederlagen aus den vergangenen 101 Länderspielen: Eine gewisse Verunsicherung ist vor dem Eröffnungsspiel durchaus zu spüren im französischen Lager.

Erst der Kreuzbandriss von Robert Pires mit anschließender WM-Absage, dann die Hängepartie um den knieverletzten Angreifer Thierry Henry, der gegen Senegal aber gemeinsam mit David Trezeguet stürmen soll, und schließlich der Ausfall von Zidane - all das sind nicht gerade Selbstbewusstsein vermittelnde Vorzeichen.

Zumal Führungsspieler wie Didier Deschamps und Laurent Blanc nicht mehr dabei sind. Umso wichtiger wäre es, wenn mit Youri Djorkaeff ein anderer alter Haudegen in die Bresche springt, die kurzfristigen Probleme beim Titelverteidiger lösen könnte. Das Zeug dazu hat er: Mit 28 Treffern in 80 Länderspielen ist er noch immer der erfolgreichste aktive Torjäger im Trikot der «équipe tricolore».